20.10.2012

COCKTAIL FÜR EINE LEICHE (1948)

Brandon und Philip sind zwei junge Männer, die soeben ihren ehemaligen Mitschüler David ermordet haben, um den perfekten Mord zu begehen. Sie verstauen den Leichnam in eine Truhe und beginnen ihre Vorbereitungen für ein Fest, zu dem recht schnell einige Gäste erwartet werden, u.a. ihr ehemaliger Lehrer Cadell, die Eltern Davids, dessen Verlobte und ihr Ex-Freund. Auf der Kiste wird das Büffet aufgebaut, und schon trudeln die Gäste ein. Während Brandon über den Dingen steht, wird Philip derart nervös, dass Cadell mit jeder kleinsten Bemerkung und Beobachtung langsam zu verstehen beginnt, was in dieser Wohnung vorgefallen ist...

Ich weiß, was Du vor einer Stunde getan hast...
 
Dieses frühe Werk Hitchcocks kann man als Gegenstück zu „Das Fenster zum Hof“ und „Bei Anruf Mord“ verstehen. Im Gegensatz zu ersteren wird man von Anfang an eingeweiht und darf dabei zusehen, auf welche Art eine Ahnung der Realität nahe kommt, während man im Voyeur-Thriller selbst nicht wusste, ob die im Raum stehende Ahnung Hand und Fuß hat. Zweiter unterscheidet sich vom hier besprochenen Film in der Art der Vertuschung. Versuchte der Täter in „Bei Anruf Mord“ alles um den Mord zu vertuschen, während ein neugieriger Polizist dem Verbrecher langsam auf die Schliche kommt, provoziert der Mörder in „Cocktail für eine Leiche“ geradezu codiert die Entdeckung des Toten, während ein neugieriger Lehrer den Verbrechern langsam auf die Schliche kommt.

Es mag am vergangenen Umgang miteinander liegen, der heute nicht mehr gelebt wird und den darauf aufbauenden Normen und unausgesprochenen Gesetzen im Umgang miteinander, aber ich hatte das Gefühl, dass sich Hitchcock viel zu sehr in einer Filmgeschichte fühlte, als in einer abgefilmten Situation, die so auch in der Realität stattfinden könnte. Nur als Beteiligter der Situation, und dies ist der Zuschauer ja nun seit Anfang an, kann man glauben, dass mit solch wenigen Informationen, meist ja sogar eher Vermutungen und Gefühlen, jemand den beiden auf die Schliche kommen könnte, um ernsthaft Verdacht für ein solch gravierendes Verbrechen zu schöpfen. O.k., Cadell ist der ehemalige Lehrer aller im Film vorkommenden jungen Männer, er kennt sie also recht gut. Und es klingt an, dass Brandon schon immer provokant anders war. Aber solche Verdachtsmomente funktionieren nur innerhalb der filmeigenen Welt, nicht aber mit Schritt zurück betrachtet.

Wirklich schlimm ist das nicht, weiß das Kammerspiel doch trotzdem zu unterhalten. Es spielt mit dem Zuschauer als Zeuge und Mittäter in einem. Hitchcock lässt nicht zu, dass Cadell zur Identifikationsfigur wird. Diverse Kameraeinstellungen und Dialoge provozieren geradezu, dass der Betrachter zu den Mördern hält. Die Spannung entsteht durch das mögliche Entdecken des Verbrechens und der Leiche, man möchte emotional also, dass das Verbrechen ein Geheimnis bleibt. Damit führt uns Hitchcock erneut unsere bösen Seiten vor, so wie er beispielsweise den Voyeur in uns im eben erwähnten „Das Fenster zum Hof“ herauskitzelte.

Nebenbei spielt Hitchcock mit versteckter Homoerotik, dem Widersprüchlichen im Denken eines Menschen, der seine Spezies in zwei Klassen unterteilt und in der Heuchelei eines Theoretikers, der möchte man möge ernsthaft glauben, dass er als kluger Mensch nie über die Grausamkeit seiner Worte in der Realität nachgedacht habe und erst vor offenen Tatsachen seinen Irrtum erkennt. Durch diese Art, die man sonst eher von Politikern gewohnt ist, verliert gegen Ende die letzte wichtige sympathische Figur des Films besagte Sympathie.

Dass Worte eine Saat setzen, über die wir keine Kontrolle haben, wird ebenso thematisiert, wie der Rattenschwanz hinter der begangenen Tat, der vom Schleier des Toten überdeckt wird, den man gedanklich im Zentrum sieht. Hinter diesem Schleier entdecken wir die sich Sorgen machenden Hinterbliebenen, die noch aller Hoffnung sind, dass es dem Toten gut geht. Der letzte Schritt vom sich Sorgen machen zum Trauern braucht Hitchcock nicht zeigen, diese Phantasie steigt dem Zuschauer von ganz allein ins Bewusstsein.

Psychologisch will Hitchcock also mal wieder viel, doch stolpert er wie in „Psycho“ auch etwas über seine grobklotzige Umsetzung solcher lobenswerter Elemente, z.B. wenn die Moral des zwei Klassen-Denkens etwas arg moralisch und dick aufgetragen in die Geschichte integriert wird, anstatt das Thema eher schleichend anzugehen. Auch der im Zentrum stehende perfekte Mord wird als solcher nie erklärt. Scheinbar reicht es jemanden ohne Tatmotiv zu töten, um begangenes Verbrechen als perfekt zu bezeichnen.

„Cocktail für eine Leiche“ war Hitchcocks erster selbstproduzierter Film, und diesen betrachtete er selber rückblickend recht streng, war er für ihn doch eher abgefilmtes Theater, nicht nur durch das Kammerspiel, sondern auch durch seinen experimentellen Kamerastil. Der Regisseur nahm alles in Echtzeit so auf, als sei es in einem Zuge durchgefilmt. Schnitte sollen als solche nicht zu erkennen sein. Hierfür verharrt der Mann gerne mit der Kamera auf dem Rücken einer Figur, und nach dem Wechsel der Filmrolle wurde an gleicher Stelle weitergefilmt.

Das ist ein lobenswerter Ansatz, jedoch viel zu ruppig umgesetzt. Leider sind einige der Schnitte als solche erkennbar, und in einigen dieser Momente bekommt man das Gefühl, Hitchcock hätte hektisch und spontan handeln müssen, wenn die Kamera eher unnatürlich auf die Schnelle flink zu einem Rücken eilt. Ob das Verharren auf ein Gemälde oder ähnliches nicht der bessere Weg gewesen wäre, ist eine berechtigte Frage.

Dass Hitchcock so streng mit der eigentlichen Idee umgeht, halte ich nicht für gerechtfertigt, gelingt dem Mann durch die Dynamik der Kamera doch viel mehr als bloßes abgefilmtes Theater. Ihm gelingt etwas unglaubliches: der Zuschauer wird durch die ungewohnten Bewegungen der Kamera zu einer eigenen Figur im Film, die nicht vorhanden ist. Es ist im Prinzip der erweiterte Schritt, den man z.B. aus Büchern kennt, die in dritter Person geschrieben sind. Mag sein dass man „Cocktail für eine Leiche“ als Zwischenschritt zwischen herkömmlichen Abfilmen und dem Dokustil aus „Blair Witch Project“ und Co sehen könnte, nur eben nicht stilistisch, sondern in seiner Wirkung.

Hitchcocks Film orientiert sich an einem Theaterstück, deshalb kann man ihm inhaltlich nicht zu viele Vorwürfe machen. Dennoch fand ich es schade, dass der Verbündete Brandons psychisch so labil war. Spannender wäre das Katz und Maus-Spiel mit zwei starken Charakteren gewesen, die ihrem Lehrer gegenüber stehen. Den Reiz der Figurenzeichnung Philips könnte ich nur dann teilen, wenn man an den Vorbereitungen zur Tat hätte teilnehmen können. War er zuvor so großkotzig wie Brandon und hat sich peinlichst überschätzt? Ließ er sich von seinem Kommilitonen überreden, eben weil er so charakterschwach ist? Leider beginnt der Film erst mit der Tat. Leider jedoch nur wegen der aufgeworfenen Frage Philip betreffend, denn dass der Film nach einer kurzen Kamerafahrt vom Stadtbild zum Haus, in dem alles spielt, mit dem Mord beginnt, ist ansonsten als positiv zu betrachten.

„Cocktail für eine Leiche“ ist ein interessanter Film, einer der zeigt, wie toll Werke allein durch Dialoge wirken können, selbst in einem Genre wie den Thriller. Man fühlt sich inhaltlich wie psychologisch als Teil der Party und als Mittäter des Mordes, das verleiht dem fertigen Werk eine niveauvolle Atmosphäre. An anderer Stelle vermisst man diese Klasse jedoch durch die unsensible Herangehensweise Hitchcocks. Das macht den Film jedoch nicht kaputt, sondern schränkt ihn lediglich in seinen Möglichkeiten etwas ein.  OFDb

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen