Der auf der Straße lebende Alfred ist nicht nur ein
gesellschaftlicher Außenseiter, sondern auch einer unter den
Obdachlosen. Seit Jahren spart er heimlich Geld um irgendwann ins
Ausland zu ziehen, bis dahin lebt er vom Allernötigsten und von
Kleinstgaunereien. Auf diesen Weg lernt er den Polizisten Erwin kennen,
der von seinem Alltag so gefrustet ist, dass er Gefallen an der
Aussteigeridee Alfreds findet...
Maskenball der Seelen...
Vordergründig handelt Michael Verhoevens „Gefundenes Fressen“ von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Obdachlosem und Polizist, zwei Angehörigen verschiedener Gruppen, die in der Regel auf Kriegsfuß stehen. Hintergründig erzählt der Film jedoch von der verzweifelten Suche nach Individualität in einer zu gleich geschalteten Gesellschaft, die einem nur Platz für Alternativen lässt, so lange man sich an die Spielregeln hält.
Der auf der Straße lebende Alfred steht für sich, kommt weder mit den Bürgern noch mit den Obdachlosen richtig klar und sehnt sich nach einem Wonneleben im sonnigen Ausland. Genau das könnte auch Polizist Erwin vertragen, der sich missverstanden fühlt, das Dasein als Polizist satt hat und davon träumt ebenfalls auszusteigen. Bis es bei ihm so weit ist, will er wenigstens Alfred helfen, einer Person zu der er sich verbunden fühlt, was jedoch nur bedingt auf Gegenseitigkeit beruht.
„Gefundenes Fressen“ erzählt seine Geschichte fast ausschließlich über die Charaktere. Was beide im einzelnen erleben, häufig in voneinander unabhängigen Erzählsträngen, erscheint nichtig. Für den Konsumenten, der lediglich nach Unterhaltung lechzt, wirkt der Film dadurch eher wie ein konsequentes Langstrecken einer nicht vorhandenen Geschichte. Aber sie ist anwesend und kristallisiert sich nach und nach heraus und wartet nur darauf entdeckt zu werden.
Interessant ist, dass Verhoeven wahrlich nicht mit Sympathiefiguren spielt. Sowohl Alfreds als auch Erwins Dasein dient als Tarnung, als Mittel zum Zweck um nicht aufzufallen. Erwin spielt die Rolle als Polizist ebenso, wie Alfred eigentlich charakterlich gar nicht zu den Obdachlosen gehört. Alfred mag schrullig wirken, aber er ist kein Team-Player, zieht lediglich sein Ding durch und vertraut aus anderen Gründen niemandem, als es der Durchschnitts-Obdachlose tut. Polizist Erwin ist noch unsympathischerer Natur. Er ist ein Egomane, der ein Traumbild von sich und seinen Fähigkeiten entworfen hat, und nun frustriert ist, dass andere sein Selbstbild nicht teilen. Das entfremdet ihn von seiner Rolle im Beruf ebenso wie von seiner Familie. Doch darüber trauert er nicht. Er sieht sich im Recht und alle anderen liegen falsch.
Kurzum, beides sind Egomanen, und ein solcher muss man wohl auch sein, wenn man um sein Recht auf Individualität und dessen Platz und Anerkennung in unserer Gesellschaft kämpft. „Gefundenes Fressen“ zeigt uns eine Person, die meist begründet egoistisch handelt und eine Person, die den Wunsch nach Ausstieg viel eher als Rechtfertigung für seine egoistische Haltung nimmt. Dies trennt beide Charaktere, und vielleicht wird dies Alfred in der finalen Szene klar. Vielleicht tritt er den von ihm gewünschten Weg nicht an, weil er Hilfe von etwas bekam, für das er nicht steht. Vielleicht war auch nur der Zeitpunkt zu spät. Den Schluss soll jeder für sich selber deuten.
Rühmann, der eigentlich eher auf leichte Stoffe abonniert ist, lebt in der Rolle des Alfred in schauspielerischer Hinsicht regelrecht auf. Eine ernstzunehmende Rolle in einem Drama kleidet ihn sichtlich gut, was optisch freilich auch der guten Maske zu verdanken ist. Hier wirkt Rühmann nicht mehr so unterfordert wie in seinen meist sympathischen Komödien.
Komplett ohne Humor kommt auch „Gefundenes Fressen“ nicht aus, und der zeigt sich meist im Stile eines „Max, der Taschendieb“, sprich über die gewitzten illegalen Aktionen der Hauptfigur. Der Witz wird dabei jedoch so stark zurückgeschraubt, das man nicht einmal mehr von einer Tragikomödie sprechen kann. Trotz solcher Szenen bleibt Verhoevens Werk recht deutlich ein Drama.
„Gefundenes Fressen“ ist ein Liebhaberstück, ein Film für Cineasten, ein anspruchsvolles Werk, das jedoch nicht von zu hohem Anspruch und zu viel Symbolik erstickt wird, sondern noch den Bogen zur kurzweiligen Unterhaltung findet, ohne den Bereich des Popkorn-Kinos zu streifen. Verhoevens Film ist ein interessantes Werk, das seine minimalistische Geschichte auf versteckt psychologischer Basis konsequent und glaubhaft durchzieht, so dass der Film mehr bietet als die bloße traurige Geschichte eines Obdachlosen, der es gerne besser hätte und eines Polizisten, der sein Mitleid für den armen Mann entdeckt. Dies wäre Grundlage für eine Trivialunterhaltung, einen Filmbereich, von dem sich „Gefundenes Fressen“ sehr deutlich distanziert - freilich nur dann, wenn man es auch selbst entdeckt hat. OFDb
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