Gegen seinen Willen übernimmt Lehrer Rainer Wenger in der
Projektwoche den Kurs zum Thema Autokratie. Etwas schockiert stellt er
fest, dass die Schüler von heute das Thema als „gelernt und passiert
nicht mehr“ abtun. Also startet er ein Experiment. Er verführt die
Schüler zu Gehorsam und Angleichung. Was als harmloser Versuch begann,
schaukelt sich zu einer stadtweiten Bewegung aus, über die Wenger mehr
und mehr die Kontrolle zu verlieren scheint...
Macht durch Disziplin...
So ziemlich jeder wird damals in der Schule „Die Welle“ von Morthon Rhue gelesen haben. Sie ist sowohl unter Lehrern als auch unter Schülern ein beliebter Stoff und schockiert schon allein deshalb, weil er auf einer wahren Begebenheit beruht. Bereits 1981 wurde der Roman als recht kurzer TV-Film umgesetzt, und der wurde der Buchvorlage so gar nicht gerecht, hatte er doch zu wenig Zeit das Thema zu vertiefen und eine zu lahme Erzählweise um wenigstens seine Lauflänge anständig auszufüllen.
Es wurde höchste Zeit für eine Kino-Version. Und aufgrund der ausländischen Vorlage, der Berühmtheit dieser und der Beliebtheit des Themas im Medium Film, überrascht es schon ein wenig, dass es Deutschland war, das dieses Projekt umsetzte. Das hat mich persönlich gefreut. Nicht weil wir Deutschen wegen des Nationalsozialismus noch etwas gut zu machen hätten, sondern schlichtweg weil ich Filme aus unserem Land mag.
Die Wahl der Regie fiel auf Dennis Gansel, der sicherlich nicht wegen seines leichten und unterhaltsamen Stoffes „Mädchen, Mädchen“ für dieses Projekt auf sich aufmerksam machte, sondern viel mehr wegen seines späteren Werkes „Napola – Elite für den Führer“. Hier konnte er sich bereits mit Autokratie befassen, und das Ergebnis konnte sich sehen lassen, wirkte es doch keinesfalls klischeelastig oder heuchlerisch.
Nationalsozialismus und das Thema von „Die Welle“, das ist verwandt, aber eben nicht dasselbe. Während einem zum Thema Nazi-Deutschland in erster Linie die Ausländerfeindlichkeit einfällt, so beweist doch gerade der Stoff Morton Rhues, dass der Begriff Faschismus sich eben nicht nur darauf ansetzen lässt, sondern eine viel allgemeinere Bedeutung hat, in welcher Rassenhass lediglich ein Teilgebiet ist: die Angleichung.
In „Die Welle“ werden keine Ausländer gehetzt, sondern das Ziel ist die Angleichung, und Andersartigkeit soll aufgehoben werden. Optisch wird das ganze in Gansels Film durch weiße Hemden verkörpert, ein simples wie wirksames Mittel, das jedoch nicht zwingend nötig gewesen wäre. Da der Stoff hauptsächlich für ein jugendliches Publikum gedacht ist, ist die Idee zur Verdeutlichung andererseits vielleicht doch nicht so verkehrt.
Zielpublikum sollte die Jugend sein, und das sieht man dem Film auch in jeder Sekunde an. Hat die Geschichte zwar wen Erwachsenes in der Hauptrolle, so zeigt doch spätestens die moderne, poppige Inszenierung an wen sich der Film richtet. Und hier muss man Gansel schon zu einer interessanten Leistung beglückwünschen. Er schafft den Spagat zwischen Aufklärungs- und Unterhaltungsfilm. „Die Welle“ ist dynamisch erzählt, bremst sich nie aus, ist mit einem rasanten Soundtrack untermalt und neigt nur selten dazu oberflächlich zu werden. Es erfordert einfach Mut ein solches Thema so modern umzusetzen, werden doch viele von Respektlosigkeit reden oder gar den Anspruch des Themas verloren sehen. Ein poppiger Stil ist jedoch nur ein Stil und hat keine Auswirkung auf den inhaltlichen Gehalt. Und den Kern der Aufklärung verliert Gansel nie aus den Augen.
Einzig die sehr klischeeartig geratenen Charaktere hätten da etwas individueller ausgebaut werden können, negativ fällt in dieser Übertreibung jedoch nur die Rolle des Außenseiters Tim auf, die passend zum unangenehmen Nachgeschmack seiner Rolle auch noch ein anderes Schicksal am Schluss erfährt, als im Buch. Da dieses reißerisch und unnötig ist, gibt es diesbezüglich schon Grund zu schimpfen.
Im Buch ist es so, dass die Schüler, die sich für aufgeklärt halten, keine Chance mehr darin sehen, man könne sie manipulieren. Obwohl wissendlich mit dem Thema befassend, trickst der Lehrer sie aus. Und selbiges schafft Gansel mit dem Kinopublikum. Es weiß, dass es einen Film über Autokratie sehen wird. Es fühlt sich auf der sicheren Seite, und doch lockt Gansel mit diesem kurzweiligen Popkorn-Kino-Stil, in welchem man die vielen Erlebnisse der Welle-Mitglieder miterlebt. Gansel setzt kein äußeres Zeichen, wann die Fragwürdigkeit der Gruppe oder der einzelnen beginnt, man rutscht da als Zuschauer einfach rein. Man lacht mit Jugendsünden mit, man sympathisiert mit manchen Figuren, empfindet Mitleid mit anderen. Aber so oder so: man wird Teil.
Wenn die Welle-Mitglieder Stärke durch Gemeinschaft empfinden, dann wird das im Stil vom Film so aufgefangen, dass man diese Stärke mitempfinden kann. Durch den von so vielen verpönten modernen Popstil, verführt Gansel den Zuschauer selbst zu dem wovor er warnen möchte. Und das ist gut. Weshalb soll man etwas lernen, das man nur von der Theorie her kennt? Nach „Die Welle“ muss sich jeder selber fragen in wie weit er immun gegen all das war, und in welche (vielleicht noch so winzige) Bereiche er zustimmend in die Atmosphäre des Filmes hineingerutscht ist.
Somit wird „Die Welle“ tatsächlich zu einem Lehrstück über Autokratie. Nicht in einer psychischen Extreme wie „Das Experiment“, sondern perfekt als leichte Unterhaltung getarnt mit mitreißender Musik und Partylaune. Man muss ja auch bedenken, dass Gansel die Rollen der Aufständler relativ klein hält. Im Buch nehmen die Jugendlichen, die sich der Welle nicht anschließen wollen, einen wesentlich größeren Raum ein. Gansel möchte den Zuschauer jedoch verlocken, und zeigt verstärkt das Treiben in der Gruppe. Bewusst gibt er uns nur Wenger als Außenstehenden als Identifikationsfigur mit auf dem Weg, ist es doch auch jene Figur, die selber ins schwanken kommt, und von der eigenen Idee fast verführt wird.
Dass der Film recht schlicht endet, liegt nicht am Film, sondern am Buch, dessen Schluss man großteils übernahm. Die wahre Begebenheit ließ sich nicht so einfach beenden. Ein kurzer Schock reichte dort nicht aus. Die Schüler mussten nach dieser furchtbaren Erfahrung lange Zeit betreut und psychologisch begleitet werden. Das Wachrütteln fand unter detailreicherer Auseinandersetzung mit dem Geschehenen statt. In Buch und Film wird uns ein Schluss präsentiert, der in der gezeigten Form nicht glaubwürdig ist. Zumindest wenn man glaubt damit wäre alles geklärt und das Thema beendet. Schön wäre eine Fortsetzung, in welcher sich der Drehbuch-Autor damit auseinandersetzt, wie das Leben der Schüler nach der Welle weiter ging. Auch diese Geschichte wäre erzählenswert.
„Die Welle“ ist sowohl ein Aufklärungs- als auch ein Unterhaltungsfilm geworden. Zwar blendet er aktuelle Missstände meist aus, überzeugt aber wegen dem verstärkten Augenmerk auf Angleichung statt auf Rassenhass (was er jedoch der Vorlage zu verdanken hat). Das Drama ist flott und poppig umgesetzt, jedoch nicht (nur) um sich dem jugendlichen Zielpublikum anzubiedern bzw. seine Aufmerksamkeit zu erkaufen, sondern für einen interessanten psychologischen Kniff, der von vielen Filmrezensenten nicht (an)erkannt wurde. OFDb
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