10.01.2013

DER EXPERTE (1988)

KFZ-Mechaniker Willi wird nach einer fatalen Probefahrt von einem Wahlkampfexperten, der bei der Bürgermeister-Wahl helfen soll, im Auto mitgenommen. Es kommt zu einem Unfall, Willi verliert sein Gedächtnis und wird für den anderen gehalten...

Politik wie sie wirklich ist... 
 
In „Der Experte“ darf man Dieter Hallervorden, nach seinem qualitativen Ausrutscher mit „Didi auf vollen Touren“, ein letztes Mal in Hochform erleben. Hallervorden selbst sah in „Der Experte“ einige Zeit seinen besten Film. So weit würde ich nicht gehen, an das Geblödel aus „Didi – Der Doppelgänger“ und „Didi und die Rache der Enterbten“ kommt der Streifen nicht heran, er ist aber immer noch ein gelungener Film geworden.

Im Vorgängerwerk wandte sich Hallervorden bereits dem Bereich der Satire zu. Diese wird im hier besprochenen Film ebenfalls aufgegriffen, die Orientierung in diese Richtung wurde sogar verstärkt. Vom Genre her kann man dennoch nicht wirklich von einer Satire sprechen, dafür wird in Hallervordenart einfach zu viel herumgeblödelt, wäre ja auch schade wenn nicht. Mir persönlich gefällt der kaputte Mix aus ernstem Anliegen und dem Mut zum Klamauk gut. Einen Qualitätsverlust durch das dominante Herumalbern werden nur jene empfinden, die bereits beim Doppelgänger und den Enterbten nicht den Charme und das psychologische Niveau der Figuren entdecken konnten. Man muss schon frei vom Tunnelblick sein, um die versteckten Qualitäten Hallervordens zu entdecken. Leider wird er viel zu oft auf seinen Klamauk reduziert.

In „Der Experte“ werden auch ernste Töne angeschlagen. Das dürfte sicherlich neu sein. Trotz seines ernsten Grundthemas gab es solche Szenen in „Didi auf vollen Touren“ nicht. Hier darf Didi, der diesen Spitznamen eben wegen der Stiländerung bewusst nicht mit in den Kinotitel eingebaut hat, auch mal Gefühle zeigen, zwar keiner Frau gegenüber, dafür aber väterliche Gefühle einem Waisenkind gegenüber. Das wirkt manchmal leider zu aufgesetzt, gerade zu Beginn, entgleist aber nicht immer in unglaubwürdigen Sozialkitsch. Gerade in Szenen, die geradezu nach solchen Ausrutschern schreien, bekommt das Drehbuch immer wieder den Bogen die nötige Würde und Glaubhaftigkeit zu behalten.

Seltsamer Weise findet man besagte Ausrutscher in den eher banalen Szenen (gemeinsames Frühstück, etc.). Ein weiterer kleiner Minuspunkt sind diverse Fehltritte im Humorbereich. Hin und wieder verlaufen sich greise Witze in den Film, z.B. „Warum treten Polizisten immer zu zweit auf?“ – „Weil der eine lesen und der andere schreiben kann.“ Das ist Humor für die Generation meines Großvaters, verkrampft und viel zu unwitzig. Leider behielt Hallervorden dieses Niveau in seiner späteren Satire-TV-Sendung bei und machte ihn dort zum Zentrum seiner Komik, weswegen mir späte Produktionen mit dem einstigen beliebtesten deutschen Komiker persönlich auch nicht mehr gefallen. Zum Glück gibt es Witze dieser Art im Experten nur am Rande, somit ist das hier Beklagte nur ein kleiner Wermutstropfen.

Punkten kann Hallervorden neben der gewohnten Qualitäten (tolles Geblödel, Figuren mit Tiefe und psychologischem Niveau, gute Geschichte, gutes Timing für Gags, gute Vorbereitung auf die Rolle) mit einem sehr ernsten und stillem Schluss, den ich ihm vor Sichtung des Streifens zwar vom Talent her zugetraut hätte (dass Hallervorden auch anders kann sieht man ja auch in „Das Millionenspiel“), in seinen klassischen Filmen aber nie erwartet hätte. So abgedreht seine Filmfiguren auch sind, sie leben in unserer Welt, und Hallervorden ist sich der Polit-Korruption durchaus bewusst. Der Schluss hat Klasse, und dass der Humor dort nicht auftauchen darf ist ausnahmsweise gut zu nennen.

Zudem hat diese Art Ende einen weiteren Vorteil. Verglichen mit den üblichen Filmen des Komikers (mit Ausnahme von „Mein Gott, Willi“) und auch verglichen mit den Mehrteilern in „Nonstop Nonsens“ verzichtet Hallervorden auf die Action. Hallervorden ist ein stolzer Eigenstuntman, lässt sich von Drehbuchautoren unter Mitsprache chaotischste Stunt-Situationen zuschreiben, und vergisst dabei, dass man ihn wegen seiner Komik sehen will. Hallervorden schaffte es, seine großartigsten Filme „Didi – Der Doppelgänger“ und „Didi und die Rache der Enterbten“ mit diesem Heckmeck dank Pausieren der Komik abzubremsen. In „Der Experte“ wird diese Action nun durch Dramatik ersetzt, wieder kommt die Komik im Finale zu kurz. Der Wechsel ins Ernste ist in Hallervordens Politfilm allerdings konsequent zu nennen, während die Stuntszenen in den Vergleichsfilmen völlig unnötig eingebracht sind, scheinbar im Irrglauben, man müsse dem Zuschauer zum Finale hin mehr bieten als zuvor.

Auch wenn Dieter Hallervorden im Mittelpunkt steht, wie in all seinen Kinofilmen ist er nicht der einzige Pluspunkt im Darstellerbereich. Wieder einmal hat der Komiker allerhand talentierte Schauspieler um sich gescharrt, wieder einmal dürfen sie tollste Figuren verkörpern. Zwar fehlen dieses mal so schräge Gestalten wie Theo aus der Tonne oder Herr Langenhagen, die hätten in der etwas ernsteren Thematik von „Der Experte“ aber ohnehin nur bedingt hineingepasst. Mit einem guten Blick auf typische wiederholende Charaktergrundkonstellationen in der deutschen Politik werden uns hier gerade in den beiden Parteien die witzigsten Figuren vorgesetzt.

Neben Hallervorden dürfte der größte Trumpf des Filmes Walo Lüönd sein, der einen solch penetranten, unsensiblen, unehrlichen, karrieregeilen und politisch unkorrekten Kandidaten spielt, dass es eine Freude ist, ihm zuzusehen und viel mehr noch zuzuhören. Er schreit sich unsensibel einen zurecht, dass es eine wahre Freude ist sich von ihm seine Ohren vergewaltigen zu lassen. Aber auch der Gegner aus der anderen Partei, wenn auch mit wenig Auftritten versehen, ist perfekt besetzt und charakterlich perfekt ausgearbeitet. Aber so geht es so ziemlich allen wichtigen Figuren der zwei Parteien.

Die Politkomik wird im breiten Bereich umgesetzt. Ob Wahlkampfreden, private Politiker, Heuchelei, Wahlkampfsprüche/plakate, Konkurrenz, falsche Werte, Manipulation, falsche Freundschaft, fast alles was Politik so unangenehm macht wird mit eingebracht. Lediglich die politische Abhängigkeit durch Firmen und die Kompromisse mit Religion werden nur kurz angedeutet. Nebenbei bekommt noch der Bereich der Nervenheilkunde eins auf den Deckel und wird ein weiteres Mal beim Versuch der Verhaltenskorrektur Fehlgeleiteter als Anwendung von Gehirnwäsche geoutet. Manche Verbrechen geschehen halt auch heute noch vor unseren Augen, sogar mit Einwilligung der Gesellschaft.

Das faszinierende an Hallervordens Werk ist, dass diese Bereiche durch den ebenfalls anwesenden Klamauk nicht ihr Niveau verlieren. Die ernsten Thematiken gehen zwar ein wenig unter, können aber immerhin von dem Zuschauertyp, der sich nicht nur berieseln lassen will, noch immer genügend beachtet werden. Hallervorden verzichtet nicht komplett auf die großen Lacher, verzichtet nicht auf den Klamauk, den man an ihm so schätzt, wagt es aber diese Bereiche herunterzuschrauben, um sein ernstes Anliegen diesmal deutlicher zu machen als in seinem Film zuvor.

Für einige mag dies unausgegoren wirken. Der eine will das Klamaukpotential aus dem Enterbten-Streifen, der andere will eine reine Satire sehen. Wichtig ist allerdings zu beachten, dass trotz beider Komponenten beides nicht seine Wirkung verliert. Und das ist ein Kunststück, dass nicht jeder Filmschaffende hinbekommen hätte. Die Teamarbeit aus Drehbuchautoren, Hallervorden und Regisseur Reinhard Schwabenitzky (der schon „Didi – Der Doppelgänger“ inszenierte) hat in diesem Punkt echte Klasse bewiesen, auch wenn der Unterhaltungswert im direkten Vergleich zum Doppelgänger und den Enterbten etwas reduzierter ist.  OFDb

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