25.05.2015

THE PHILOSOPHERS - WER ÜBERLEBT? (2012)

Jeder Filmemacher, der seine Geschichte (auch wenn diese noch so naiv, konstruiert oder routiniert ausfällt) und die Figuren in ihr ernst nimmt, veranstaltet ein Gedankenspiel an das er den Zuschauer teilnehmen lässt. Regisseur Huddles geht mit „The Philosophers“ noch einen Schritt weiter. Durch den Schritt zurück, in welchem er ein Gedankenspiel darüber macht dass jemand ein Gedankenspiel macht, rückt er die Theorie in den Mittelpunkt, die Konstruktion ins Bewustsein des Zuschauers und lässt das Konzept nicht mehr unsichtbar im Hintergrund laufen.

„The Philosophers - Wer überlebt?“ lädt zum mit philosophieren ein, und wie gut er darin ist hängt letztendlich vom Zuschauer ab. Wir bekommen die Intentionen des Drehbuchautors nicht mitgeteilt. Er wirft uns etwas vor, und es liegt am Zuschauer wie tiefgründig, oberflächlich, fragwürdig oder intelligent wir empfinden was er uns da vorsetzt.

Ich weiß leider nicht mehr welcher Hobby-Autor es war, aber ich habe einmal auf einem Blog die meiner Meinung nach richtige Überlegung gelesen, dass ein Regisseur nicht zwingend Herr über seinen Film sein muss. Die Erfahrung und die Gedanken des Zuschauers machen ihn zu etwas völlig eigenem, so dass jeder einen Film anders sieht und anders interpretiert. David Cronenberg beteuerte immer wieder, dass sein „eXistenZ“ nicht gesellschaftskritisch gemeint wäre. Viele sehen darin dennoch allerlei solcher Aussagen. Es liegt nicht in Cronenbergs Macht diese Anhäufung an Kritik im Auge des Zuschauers verschwinden zu lassen. Für viele ist sein Werk entgegen dem was er wollte ein hochpolitischer Film. George A. Romero erklärte dass es Zufall war einen Schwarzen in der Hauptrolle von „Die Nacht der lebenden Toten“ zu besetzen. Als Kritik am Rassismus war der Film nie gedacht. Aber er funktioniert als solche ebenso. Umgekehrt war die Rolle von Denise Richards in „Starship Troopers“ als besonders emanzipierte Frau von Paul Verhoeven gedacht. Viele nahmen sie jedoch nur als die eiskalte Bitch an und damit als einen weiteren Teil der gezeigten fragwürdigen, elitären Zukunftswelt. Der Filmemacher kann viel wollen, der eigentliche Film vervollständigt sich jedoch erst im Kopf des Zuschauers, sodass es am Ende nicht nur DEN Film gibt.

Und da wir von den Beweggründen Huddles in „The Philosophers“ nichts wissen, können wir den Film nur so annehmen wie wir ihn interpretieren. Was hat der Lehrer vor? Ist die Finalszene als Provokation, vielleicht sogar in Form einer Fantasie, gedacht? Ich verstehe sie als weiteres Gedankenspiel, so wie den Hauptteil der Geschichte zuvor und die drei Heimkomm-Sequenzen danach. Huddles verlässt in diesen Momenten lediglich die zweite Ebene. Das Gedankenspiel findet nicht mehr innerhalb eines Gedankenspieles statt. Es wird wieder klassisch Film erzählt. Hofft Huddles dass man dies begreift oder meint er seine Soap Opera-Momente am Schluss ernst und glaubt auf echte Gefühle und ein erhellendes Lüften der Hintergründe des Lehrers zu setzen? Falls ja wäre das Ergebnis recht erbärmlich zu nennen.

Man kann zu allen drei Hauptphasen des Experimentes der Klasse völlig anders stehen, Kritik üben sollte man über das jeweils gezeigte Weltbild jedoch erst nach dem Komplettfilm, kennen wir doch nicht die Beweggründe des Lehrers und liegen diese doch in der Interpretation des Zuschauers, der den Lehrer im Gesamten erst am Ende des Streifens kennt. Was ist provozierender? Das kühl durchkalkulierte Denken welches eine Schülerin als Nazi-typisch bezeichnet oder das suizide, unüberlegte Feel Good-Solidarische, welches dem Lehrer offiziell gegen den Strich geht. Was bezweckt Huddles mit der Provokation den Dichter jeweils so plötzlich erschießen zu lassen? Wieso nimmt der Lehrer die Position des Bösewichts im Rollenspiel ein, bzw. warum interpretiert ihn die Schülerschaft als solchen? Jeder hat eine eigene Weltsicht, besitzt eine andere Mentalität, achtet aufgrund eigener Erfahrungen auf andere Dinge, setzt damit einen anderen Schwerpunkt und sieht das Erzählte in „After the Dark“ (Alternativtitel) anders als ein anderer Zuschauer.

Oberflächlich betrachtet ist „The Philosophers“ innerhalb seiner Möglichkeiten recht schlicht erzählt. Es sieht so aus als ob der Film nicht so tief greift wie er könnte, prahlt er doch fast geradezu einen hohen intellektuellen Status mit seinem Filmtitel, und dann bietet er vordergründig nur versimpelte Grundlagen der Philosophie und vereinfachte Bilder dreier Was-wäre-wenn-Hauptgeschichten. Deswegen fällt er vielerorts in Filmbesprechungen auch negativ aus. Haben die Kritiker Recht? Will der Film tatsächlich nicht mehr sein als das? Und falls trauriger Weise ja, liegt es dann nicht beim Zuschauer ihn als Spielwiese der Interpretationen zu nehmen wie ich es tue? Liegt es nicht bei jedem selbst mehr daraus zu machen? Hat Huddles die Macht über seinen Film? Und falls Huddles „The Philosophers“ vielleicht doch so gemeint haben sollte wie ich ihn hier in diesem Text greife, hätte er sein Anliegen der Selbstbeteiligung des Zuschauers dann deutlicher machen müssen? Ginge das überhaupt, wenn die Interpretationsvielfalt doch hauptsächlich davon lebt, dass Huddles selbst sein Anliegen nicht deutlich macht? Darüber kann man sicher ebenso endlos diskutieren wie darüber, ob sich der Film in all diesen Punkten überhaupt von der klassischen Erzählart anderer cineastischer Werke unterscheidet.

Falls ja lädt Huddles „The Philosophers“ meiner Meinung nach zumindest offensichtlicher dazu ein als ein klassisch erzählter Streifen, da das Gedankenspiel stets Teil des Bewustseins des Zuschauers ist. Dies gelingt ihm durch den Mix der „Realszenen“ im Klassenzimmer in Kombination mit den Szenen in welchen wir den Blickwinkel der Phantasie der Klasse einnehmen. Da wird wirklich erschossen, da steigen die Atompilze hoch. Und im nächsten Moment wird nur geredet. Dass alles ein Konstrukt ist bleibt Teil des Miterlebens und lädt deshalb so zu mitinterpretieren ein. Ist es eigentlich eine Provokation, dass die Klasse gleichgeschaltet die selben Phantasiebilder erlebt? Würde eine Gruppe von Individuen das Gedankenspiel nicht in verschiedenen Bildern erleben?

Wie wichtig Philosophie für den Alltag, die Gesellschaft und das Weiterkommen eines selbst ist, liegt sicherlich an der Person die da philosophiert. Der Film macht dies ob gewollt oder ungewollt deutlich. Ist die Klasse, egal in welcher ihrer drei Szenarien sie sich gerade befindet, zu intelektuell unterkühlt, wenn sie das Grundszenario, die Atomkatastrophe, derart unter den Teppich kehrt um sich hauptsächlich auf das Geschehen im Bunker zu konzentrieren? Ist das Reduzieren auf einen Beruf nicht ebenso fragwürdig wie ein Reduzieren auf einen bewusst sinnlichen Lebensstil? Und können die Schlussfolgerungen richtig sein in einer Gedankenwelt die davon ausgeht dass eine Gesellschaft untergeht nur weil sie diverse Dinge zum Überleben nicht als Beruf gelernt hat? Kann man nicht vieles einfach erlernen, zwar nicht perfekt aber gut genug um zu überleben? Und blendet „The Philosophers“ solche Fragen absichtlich aus? Soll die Klasse eine Gruppe von Vorzeige-Philosophen sein, eine kalte Elite darstellen die nach allem Lernens nicht viel gelernt hat oder gar keines von beidem oder beides zugleich?

Was auch immer Huddles bezweckte und wie tief auch immer er dabei ging, „The Philosophers“ ist eine Zaubertruhe in welcher der Zuschauer Herr über Tiefgang oder Oberflächlichkeit ist, ebenso wie das Berufswahl-Kästchen des Lehrers zu Beginn des Experiments. Ist dies ein verstecktes Sinnbild des Ganzen welches meine Überlegungen bestätigt, oder nur eine zufällige unbedeutende Gedankenüberschneidung, die man wichtiger nehmen könnte als sie ist, vergleichbar mit Pseudobeweisen aus Verschwörungstheorien? Kurz zusammengefasst gefragt: Ist Huddles Werk ein absichtlich simpler Film um zum Mitmachen zu animieren oder lediglich ein schlichter Ansatz um zum Denken anzuregen für eine ungebildete Generation, die das Grübeln verlernt hat?  OFDb

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