Wenn man das Original aus dem Jahre 1973 sichtet, versteht man warum die Amis in ihrem späten Remake mit Nicolas Cage so ziemlich alles geändert haben. Sie könnten das Original nie verstehen. Für uns Europäer ist er jedoch bereits ein Kultfilm, und dass er dies bei seiner fast schon komödiantisch schrulligen Art geworden ist, verwundert wohl weder Bewunderer noch Kritiker, ist „The Wicker Man“ inszenatorisch doch allein schon auf den Horror-Bereich gesehen ein individuelles Werk. Wo außer hier hat man in einem ernst umgesetzten Horrorfilm je den Genre-Mix mit der Gattung Musikfilm erleben dürfen?
Dass diese den Horror nicht eliminiert, sondern überraschender Weise das Unwohlsein des Helden und des Zuschauers durch sie gar steigert, liegt an der Thematik des Filmes, die es sich einen Spaß daraus macht uns die Andersartigkeit einer fremden Kultur aufzuzeigen, von der man nicht weiß wie weit sie in ihrer Konsequenz greift. Steckt hinter all der Lebensfreude und mentalen Fröhlichkeit ein vom Glauben angetriebener mordender Mob, wenn der Tod in besagter Kultur gar so etwas Wunderschönes darstellt? „The Wicker Man“ zeigt auf, dass aus jeglicher noch so harmlosen Form von Glauben etwas Bestialisches pervertieren kann, so dass der Glaube immer eine Gefahrenquelle des Fanatismus und der geistigen Ausnutzung anderer ist.
Ebenso zeigt er aber auch den Egoismus und die Ignoranz die mit Glauben einher geht. Andere Religionen neben der eigenen sind unerwünscht. Die eigenen lächerlichen Rituale werden ernst genommen, fremde lächerliche Rituale als irrsinnig dargestellt. Hier bekommt in erster Linie das Christentum sein Fett weg, wenn der gesellschaftlich konservative und christlisch erzogene Howie bereits Rituale und Lebensweisen nicht gutheißt, die lediglich für einen anderen Glauben stehen, lange Zeit bevor das Ausleben des Götterglaubens auf der Insel immer fragwürdigere und extremere Züge aufweist.
Dass sich Howie als Fremdling auf der Insel überhaupt das Recht nimmt die Kultur dort zu kritisieren, ist allein schon eine unhöfliche Anmaßung, bestimmt die Masse doch was normal ist in einer Gesellschaft und nicht das Individuum, wie uns auch „Der Omega Mann“ gelehrt hat. Howie kommt von auswärts und erwartet von den Menschen vor Ort seinem Weltbild zu entsprechen. Dabei ist er der Außenseiter, er ist der Unhöfliche der Gesetz und Religion in einen Topf wirft.
Diese durch wundersame Rituale heraufbeschworenen gesellschaftskritischen Seitenhiebe auf Glaubensgemeinschaften dienen nicht nur dem Aufhänger der Geschichte und der Erkenntnis Howies weshalb das Mädchen nicht aufzufinden ist, er dient auch dafür den Zuschauer lange genug ablenken zu können, um die böse Finalidee möglichst nicht zu erahnen, auf die man aufgrund der eingestreuten Hinweise zwar kommen kann, was aber nur selten der Fall ist, bei all dem kulturellen Einfallsreichtum den man als Zuschauer vor die Augen und vor die Ohren geworfen bekommt.
Gerade diesen Kniff haben die Erschaffer des Remakes „Wicker Man - Ritual des Bösen“ nicht verstanden. Dort, ganz im Gegenteil, vermutet man die Schluss-Pointe sehr schnell, weil sonst alles Erzählte, das lediglich nur auf den Schluss hin arbeitet, keinen Sinn ergäbe. Da es sich hier wie dort um die selbe Schluss-Pointe handelt sollte man also unbedingt erst das Original gesehen haben, um überrascht zu werden. Aufgrund des haushohen Unterschiedes in Sachen Qualität und Unterhaltung sollte man dies aber ohnehin tun, bietet die US-Version doch eigentlich keinen wirklichen Sehwert.
Robin Hardys Regiearbeit hingegen, für das man Christopher Lee gewinnen konnte, dem man mit herrlich wirkender, ungewohnter Frisur gestilt seine Spielfreude geradezu ansieht, ist ein wahres Meisterwerk geworden, das eine unglaubliche Kraft auf den Zuschauer auszuwirken weiß. Schnell ist man am Geschehen interessiert, stets ist man trotz aller Kritik an seinem Verhalten an der Figur des Howies gefesselt, als Nichtchrist seine Auffassung von dem was Richtig oder Falsch ist zwar nie teilend, aber doch mit ihm um das Mädchen bangend, spätestens wenn man erkennt dass der Geisteszustand der Inselbewohner nicht im besten Zustand zu sein scheint.
Was wirklich ist erfährt man erst am Schluss. Auf der kleinen aber feinen Weisheit bauend „hinterher ist man immer schlauer“ wird dem Zuschauer plötzlich ein anderer Blick auf die Geschehnisse gewährt, die im Verlauf des Finales noch einmal den Fanatismus von Glauben aus allen Seiten quillen lässt, bevor ein konsequenter Schluss uns aus dem Film entlässt, der einem trotz all seiner aufblitzenden Belustigungen innerhalb einer ernsten Thematik nicht so schnell wieder loslässt, dürfte es doch keinen kalt lassen was man auf Spielfilmlänge miterleben musste.
„The Wicker Man“ beherrscht das Spiel mit dem Publikum perfekt. Buch und Regie wissen welche Hebel sie beim Zuschauer aktivieren müssen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, was zeigt wie professionell man psychologisch gesehen vorgegangen ist. Eine hochinteressante Geschichte, die heutzutage Vorlage für eine reizvolle TV-Serien-Version sein könnte, wird unterstützt von allerhand talentierten Mimen, allen voran Edward Woodward als Howie, der überzeugend und augenzwinkernd zugleich spielt, und an den man sich bei einer Zweitsichtung auf andere Art klammern wird als beim ersten Sichten. Unbedingt ansehen! Am besten gleich zwei Mal! OFDb
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