05.04.2021

GOLIATH96 (2019)

Depressionen können wunderliche Gestalten annehmen. Das hier präsentierte Phänomen die Außenwelt zu meiden und nonstop am Computer zu kleben, ist in unserer Gesellschaft mittlerweile immer öfter zu beobachten, so dass "Goliath96" nah am Zeitgeist arbeitet. Dem Langfilm-Debüt von Marcus Richardt, der im selben Jahr auch den Dokumentarfilm "Das Haus der guten Geister" fertigstellte, ist nicht daran gelegen therapeutische Überzeugungsarbeit zu leisten oder die psychische Störung, die David durchmacht, tiefgehend zu analysieren. Dennoch beweist das Buch Kenntnis von alledem, erklärt uns ganz nebenbei, wenn auch erst spät, was in David vorgeht, und ist sich der Konsequenzen dessen bewusst, was Mutter Kristin da auf unkonventionelle Art versucht. Sie ist ein Durchschnittsmensch, handelt aus Verzweiflung, ohne fachmännische Überlegungen ihrer Aktion voranzustellen, findet aber einen einfühlsamen Weg mit ihrem Sohn zu kommunizieren, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Sie und ihre Verzweiflung sind lange Zeit der einzige Blickwinkel, den uns der Film gewährt, welcher ihrer Figur somit mehr Raum gewährt als jener des jungen Erwachsenen. 

"Goliath96" holt trotz größerer Kenntnisse der Materie somit die Charaktere dort ab, wo sie sich emotional und geistig befinden, und das weiß zu überzeugen. Zudem ist das Drama authentisch eingefangen, zeigt uns auf unaufgeregte Art spürbar die verständliche Verzweiflung der Mutter in zurückhaltenden Bildern und mittels jenem nüchternen Erzähltons, den ich an deutschen Werken dieser Art zu schätzen weiß. Dabei driftet der Film niemals in eine Unterkühlung ab, wie sie z.B. für "Die Ausbildung" nötig war. Ein gewisser Grad Wärme ist durchaus spürbar, man setzt nicht nur am Intellekt an, sondern auch am Mitempfinden der Situation. Zudem schwebt über der Handlung stets ein Gefahrenpotential, immerhin leben die beiden Hauptfiguren im selben Haushalt. Was, wenn der Schwindel der Mutter auffliegt? In wie weit würde dies dem zerbrechlichen Charakter Davids und seinen emotionalen Fortschritten schaden? Ganz zu schweigen vom Rückschritt einer möglichen Motivation sich doch irgendwann der Mutter öffnen zu können. Die Situation ist somit äußerst bedrohlich. "Goliath96" stellt sich den Antworten auf diese Fragen, wählt keinen Weg feiger Ausflüchte, auch wenn man kurzfristig meint, dass er in diese Richtung abbiegt, und beweist sich somit als ernstzunehmender Beitrag, auch wenn ich gestehen muss, dass ich manche Entwicklungsschritte Davids als etwas sprunghaft empfand. 

Ein Zusatzkniff des Drehbuchs, welcher der Geschichte zusätzliche Dynamik beschert, verwässert glücklicher Weise nicht das positive Ergebnis, sondern beschert dem Ganzen einen zusätzlichen dramatischen Spannungsgehalt, denn David beginnt sich in seinen Chatkontakt zu verlieben. Auch hier scheut der Film keine Realitätsnähe, zeigt uns diese Entwicklung so unangenehm wie sie tatsächlich ist, anstatt sich in blauäugiges Kino a la "Lars und die Frauen" zu verwandeln, und fordert damit den Zuschauer ebenso wie Kristin heraus. Hier wird nichts verschönt, hier stößt man an seine Grenzen, und auch hier verzichtet der Streifen glücklicherweise auf Provokation oder reißerische Schauwerte. Stets wird uns der Stoff sachlich und authentisch vorgetragen, und wer derartige rationale und mündige Filmkost mag, der wird an "Goliath 96" (Alternativtitel) sicherlich nichts auszusetzen haben. Allein Katja Riemann glaubwürdig bei dieser schwer zu spielenden Performance zuzusehen ist das Einschalten bereits wert. Die anderen Mimen sind nicht minder überzeugend besetzt.  OFDb

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