Handwerklich hervorragend zurückhaltend inszeniert lebt das leicht die Komik und den Kriminalfilmbereich streifende Werk von seinen Charakteren, allen voran jenen des berühmten Privatdetektivs. Es weht ein wenig Nostalgie und Wehmut im Anblick eines gealterten Genies mit Erinnerungslücken mit, aber Holmes ist in Würde gealtert, für seine 93 Jahre noch recht rüstig und u.a. aufgrund aufkommender Rätsel noch voller Tatendrang. Dass die Figur in diesem Zustand so gut zu funktionieren weiß, liegt neben der stilsicheren Darbietung Ian McKellens daran, dass das Drehbuch und seine Print-Vorlage sich mit der Thematik rund um Sherlock Holmes tatsächlich auskennen. Das beweist bereits der Aspekt der Bienenzucht, sowie viele andere unauffällig eingewobene, anstatt mit Fachwissen protzende, Verweise. Holmes ist nicht nur aufgrund seines hohen Alters ein schwieriger Mensch, seine sozialen Schwächen aufgrund des sehr hohen Intellekts bekommt gerade die ungebildete Haushälterin zu spüren. Ganz im Gegenteil ist der Rentner hingegen von ihrem Sohn begeistert, der recht pfiffiger Natur ist und allerhand vom alten Mann lernt. Mit ihm zusammen geht er dem Kriminalfall um ein wundersames Bienensterben nach.
Hauptsächlich kümmert sich die Geschichte jedoch um Holmes' letzten Fall, der ihm aufgrund der immer stärker zunehmenden Demenz kaum noch im Gedächtnis geblieben ist. Per Tagebuchform, und damit quasi als Ersatz der Aufzeichnungen des mittlerweile verstorbenen Watsons (dessen Niederschriften und deren Verfilmungen, ebenso wie der Mythos um Holmes angeblicher Detektivmütze, zu den schönsten humoristischen Momenten gehören), nähert er sich dessen was einst geschah und lüftet damit die ihn antreibende Frage warum er seinerzeit mit dem Ermitteln aufhörte. "Mr. Holmes" lässt trotz aller Dramatik Lebensfreude entstehen, eben weil wir es nicht mit einem theatralischen Film zu tun haben, sondern einem der Altersweisheit und die Lernfähigkeit im Alter thematisiert und es beherrscht Logik neben sensibel angegangener Dramatik zu setzen. Ein Film, der sich unreflektiert seiner gefühlvollen Geschichte hingibt, wäre ein Faustschlag der Thematik um Sherlock Holmes gewesen, ebenso wie eine zu empathische Charakterisierung der Hauptfigur, oder einer zu anbiedernden Heldenverehrung eines bescheidenen, sachlichen Mannes.
Da darf man erleichtert aufatmen wie wohl überlegt die Geschichte erzählt ist, mit treffsicherer Zielsetzung versehen, dem Zusammenfügen sämtlicher Handlungsfäden verpflichtet und mit einer unaufdringlichen Lektion am Schluss versehen, welche den Auflösungen jener Fälle folgt, die auch den Zuschauer neugierig auf das Ergebnis machen. Sie führt zudem zu einem wichtigen Entwicklungsschritt der Titelfigur, welcher den Hauptcharakter damit glaubwürdig und gekonnt abrundet und spätestens damit der im Vorfeld unnötig scheinenden, späten Episode um Sherlock Holmes eine Daseinsberechtigung liefert. Herausgekommen ist ein, passend zu seinem Hauptcharakter ausgefallener, geistreicher und würdevoller Film, der bestens zu unterhalten weiß und stets naheliegende Fehler umgeht, die ein schlechtes Drehbuch anvisiert hätte, was gerade mit Blick bezüglich des gern geistlose Filmbeiträge fabrizierenden Mitproduktionslandes USA für Erleichterung sorgt. So erleben wir hier weder eine theatralische Unnötigkeit um Sherlock Holmes Sterben, noch wird der clevere Junge der Haushälterin als eine Art kriminalistisches Erbe des geistreichen Mannes eingesetzt, dem wir zukünftig bei seinen Abenteuern beiwohnen dürfen.
Nein, für den schnellen Dollar ist der Streifen nicht produziert. "Mr. Holmes" ist trotz der berühmten, fiktiven Figur, mit ihrer hoch überragenden Intelligenz, lebensnah und glaubwürdig erzählt und ist kompatibel mit den sehenswerten Sherlock Holmes-Stoffen, da er sich dem Grundgedanken wohl überlegt und mit Fachwissen angereichert nähert, anstatt einfach die Popularität dieser Figur für ein austauschbares Produkt zum Schnellverzehr auszunutzen. "Mr. Holmes" ist ein Geschenk für den Freund besinnlicher Filme und wird Kennern des Kriminalisten ebenso gefallen, wie Zuschauern, die sich nur grob mit der von Arthur Conan Doyle geschaffenen Materie auskennen. OFDb
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen