Das Ehepaar
Cairn freut sich so sehr über ihr zweites Kind, dass sie nicht bemerken
wie krankhaft eifersüchtig der erstgeborene Joshua auf das Neugeborene
ist...
Fall 40...
Der Gedanke, ein Kind könne schlichtweg böse sein, fasziniert die Filmwelt schon lange. Da die Kleinen noch so unerfahren sind, müssen für die Glaubwürdigkeit solcher Werke Begründungen für das Fehlverhalten her. Der phantastische Bereich machte es in den 60er Jahren positiv in „Das Dorf der Verdammten" vor, indem er eine außerirdische Befruchtung als Ursache allen Übels lieferte. „Die Wiege des Bösen“ ließ die Neugeborenen direkt als Mutationen zur Welt kommen, ein naheliegender Schluss nach dem damaligen Contergan-Skandal, der die Welt schockierte. In christlich orientierten Kulturen zeigten „Das Omen“ und „Der Exorzist“ dass auch eine dämonische Erklärung durchaus einen böse- Brut-Film tragen kann. Der Titel „Teufelskind Joshua“ lässt nahe liegen, dass es sich auch bei George Ratliffs Horror-Thriller um einen solchen handeln könnte. Dem ist aber nicht so.
Ins Kino kam er korrekter Weise unter dem Originaltitel „Joshua“, von Teufelskind keine Rede und damit passender am wahren Geschehen. Denn Joshua benötigt nichts Übernatürliches um so zu sein wie er ist, und genau so wenig benötigt er eine Mutation. Joshua hat psychische Probleme, die ihn zu seinen Taten verleiten. Das ist nicht zwingend eine neue Idee. Bereits in den 90er Jahren zeigte der 9jährige „Mikey“, dass eine geistige Erkrankung reicht, um einen kleinen Jungen zum Massenmörder werden zu lassen. Allerdings orientierte sich dieser Film an Werken wie „Stepfather“ und wollte nicht wirklich eine realistische Geschichte erzählen. Bei „Joshua“ ist das ganz anders. Er soll glaubhaft und realistisch sein und erwartet vom Publikum möglichst wenig Augen zudrücken.
Das klingt schwierig, auch wenn man, wie mit diesem Anliegen wohl kaum anders möglich, damit arbeitet, dass es sich bei besagtem Gestörten um ein Wunderkind handelt, eines mit hoher Intelligenz und hohem Intellekt. Das verleiht ihm auf der Gegenseite eine gefühlstechnische Kühle, die einen guten Teil dazu beiträgt, dass man „Teufelskind Joshua“ tatsächlich als gelungen betrachten darf.
Dass das ganze halbwegs glaubhaft bleibt, liegt jedoch an der natürlichen Art, wie Joshua und sein Umfeld dargestellt wird. Der Kleine läuft nicht als klassischer Irrer durch die Gegend, sondern zeigt aufgrund der Zustände im Elternhaus seine psychischen Wunden. Dies macht der Film sogar so geschickt, dass man einige Zeit zweifelt, ob der Regisseur einen nicht sogar bewusst täuscht. Ist Joshua wirklich böse, oder steigert sich der Papa in etwas hinein, das in Wirklichkeit „nur“ eine klassische psychische Störung ist, ohne den Drang Menschen zu verletzen und zu ermorden?
Man muss schon sagen, dass „Teufelskind Joshua“ tatsächlich besser geworden wäre, wenn er erst im Finale eine Auflösung darüber geboten hätte ob Blut an den Kinderhänden klebt oder ob nicht. Wenn irgendwo zwischen der Hälfte des Films und dem letzten Drittel klar wird, dass ein Zweifel ausgeschlossen ist, folgt der Streifen dem typischen Muster solcher Filme. Dann weiß er zwar noch immer mit kleinen Überraschungen zu trumpfen, beispielsweise damit, dass der Vater Joashua darüber aufklärt, dass er über dessen Taten bescheid weiß, der eigentliche Storyablauf ist jedoch von nun an leider zu vorhersehbar.
Dass der Film dennoch eine kleine Empfehlung bleibt, verdankt er der Old School-Art, mit welcher Ratliff seinen Streifen umgesetzt hat. Noch ruhiger angegangen als der ebenfalls gelungene „Fall 39" wird hier in aller Seelenruhe die Geschichte erzählt, ohne dem Publikum voreilig irgendwelche reißerischen Schauwerte zuzuwerfen. Der Horror beginnt wenn er beginnt, und da hat sich der ungeduldige Konsument entweder zu gedulden, oder kann gleich verschwinden. Schön dass man sich hier nicht dem Publikum anbiedert. Und der wahre Filmfreund dankt es den Verantwortlichen, taucht man doch durch die sehr ruhige und psychologisch stimmige Art um so mehr in den Film ein. Durch das lang anhaltende Fragezeichen in der Luft ist man selbst auch viel zu sehr damit beschäftigt das Gesehene einzuordnen, um darüber nachzudenken worauf die Geschichte nun eigentlich hinaus will. Wie kann einem da langweilig werden? Nicht zu vergessen der Spannungsgehalt, der selbst bei harmlosen Szenen immer im Raum steht.
So ist beispielsweise in einer der besten Szenen geradezu furchteinflößend zu sehen, wie krank Joshua in seiner kindlichen Unbedarftheit und Verzweiflung ist, wenn er den um seinen verstorbenen Hund trauernden Vater in seinem Verhalten kopiert, um Gefühle vorzugaukeln, die nicht vorhanden sind.
Dass man nicht gleich „Monster“ schreit und wegen solcher Augenblicke an das böse Kind glaubt, liegt mitunter an der clever orientierten Erzählweise, die ein wenig an das europäische Kino erinnert. Ratliff lässt uns unsere eigenen Entdeckungen machen. Er hält uns für klug genug Dinge selbst zu erkennen, ohne dass sie vom Film selbst noch einmal zusätzlich benannt werden. Dass er hierfür dicker aufträgt, als auf unserem Kontinent üblich, ist typisch amerikanisch. Für ein Werk aus einem Land, das stets das Reißerische und den äußeren Effekt benötigt, ist es jedoch ein Schritt in die richtige Richtung, insgesamt gesehen ein positiver Schritt zurück in eine Zeit, in welcher auch der US-Film seine Zuschauer für mündig hielt und eine Geschichte zu erzählen hatte.
Genau dieser ungewöhnliche Schritt ist letztendlich auch der Grund, warum man „Teufelskind Joshua“ verzeihen kann, dass er nicht noch eine Spur konsequenter angegangen wurde. Vielleicht haben Filme wie dieser, oder auch der sehr ruhig erzählte „Moon“, langsam wieder eine echte Chance auf dem amerikanischen Filmmarkt. Vielleicht kommt wieder eine Kehrtwende in welcher die Geschichte wichtig ist und nicht einzig die Vermarktung. Dann könnten wir in 10 Jahren vielleicht sogar wieder US-Filme sehen auf einem Niveau, welches „Joshua“ in seiner letzten Konsequenz noch fehlt. Bis es soweit ist verschlinge ich weiterhin gerne 70er Jahre-Kost aus Amerika. OFDb
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