25.10.2012

SURROGATES - MEIN ZWEITES ICH (2009)

In der Zukunft benutzen die Menschen im Alltag Roboter, in die man sich einloggen kann und mit denen man das Leben in einer anderen Identität erleben kann. Kaum wer geht noch selbst vor die Tür. Das Benutzen der sogenannten Surrogates ist bisher komplett ungefährlich. Was auch immer dem Roboter passiert, der User befindet sich sicher daheim. Der Cop Tom Greer stößt jedoch auf eine merkwürdige Todeswelle, in welcher User gemeinsam mit ihren Surrogates starben. Anscheinend haben Gegner dieser modernen Art zu leben eine Superwaffe entwickelt. Greer ahnt nicht die Tragweite, die hinter dem Fall steckt, denn scheinbar hat nur der Staat genügend Geld um eine solche Waffe zu entwickeln...

Chatten war gestern...
 
Wenn man sich die vergangenen Blockbuster der letzten Jahre im Science Fiction-Bereich anguckt, wird man mit Anspruch nicht gerade verwöhnt. Ob „Terminator 4“, „I, Robot“ oder „I Am Legend“, immer gab es Möglichkeiten mit Unsitten der Gegenwart und anderweitigen Missständen zu arbeiten, nie wurde das Gebiet der Gesellschaftskritik ernsthaft angegangen. Science Fiction wurde nach den vorbildlichen 70er Jahren immer mehr zum Unterhaltungsbereich degradiert.

In einer solchen Zeit ist man schon froh, dass so manches Werk zumindest halbwegs das Treiben der Menschen mit kritischen Augen betrachtet. Ausgerechnet Schundfilmer Michael Bay bewies mit seinem „Die Insel“ wie gut sich heutige Sehgewohnheiten mit ein wenig Anspruch vereinen lassen. Dennoch bekommt man heute meist anspruchslosen Kinderkram zu sehen, der oft sogar ins Gegenteil umschlägt, in die gesellschaftliche Fragwürdigkeit, wie z.B. Produktionen wie „Transformers“ zeigen.

Aber ab und an sind sie da, die anderen Science Fiction. Und mit Bruce Willis als Zugpferd war es wieder einmal so weit, dass ein Genrevertreter mit anspruchsvollem Gehalt ins große Kinogeschäft eintreten durfte. „Surrogates“ ist der Name dieses Films, und der hält der Spaßgesellschaft den Spiegel vor.

Nun darf man darüber streiten, ob es einer derartigen Extreme bedarf, das Treiben einer gedankenlosen Generation wiederzuspiegeln. Letztendlich würde dies bedeuten, dass heutzutage noch alles im normalen und vertretbaren Rahmen ablaufen würde. Ob die etwas weit hergeholte Idee von „Surrogates“ also nun eher positiver oder negativer Natur ist im Hinblick auf das Heute, sei zumindest einmal ein wenig kritisch betrachtet. Und dies nicht nur in diesem Punkt.

Im Ansatz ist die Kritik recht gut umgesetzt. Menschen schaffen sich andere Identitäten und gehen kaum mehr aus dem Haus. Mit diesen Identitäten können sie andere Sachen machen als bisher. Dies erinnert stark an zwei fast anonyme Bereiche unserer heutigen Zeit: den Internet-Identitäten in Foren und im Chat und den unsichtbaren Größen in Konzernen. Beide toben sich in ihrer Anonymität aus, meist um Gier zu befriedigen. Die eine Sorte Gier nach Geld, die andere Gier nach geistfreier Unterhaltung und Eitelkeit.

Die Surrogates sind also eine überspitzte Variante heutigem Tuns, und um so verwunderlicher ist die Charakterisierung, die „Surrogates“ vornimmt. Gegner der neumodischen Entwicklung werden als Hinterwäldler dargestellt, während gleichzeitig auf der Fragwürdigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung herum getrampelt wird. Was denn nun? Gibt es gar keine normalen Menschen mehr auf der Welt, oder steht diese merkwürdige Figurenzeichnung dafür, dass der Surrogate-Nutzer doch zu den Normalen gehört, nur dass er mit der Zeit in etwas hinein gerutscht ist, das so nicht hätte sein dürfen. Warum sind Freaks anstatt Denker die Boykottierer?

Ein kleiner Schönheitsfehler, den man vielleicht nicht überdramatisieren sollte. Denn in anderen Punkten der Gesellschaftskritik gibt es nichts zu meckern. Die Alternativen, die gegen Surrogates sind, laufen hirnlos einem Prediger hinterher. Das finde ich einen sehr tollen Ansatz, den man häufig beobachten kann. Entdecken Menschen Missstände, glauben sie häufig automatisch der Gegenvariante, so als ob diese automatisch die richtige/bessere wäre. Mit dem Angebot einer anderen Extreme arbeiten Kirchen, Sekten und Politiker seit je her, ein Bereich der im faden „Matrix 2“ übrigens gewitzt eingebracht wurde, um ihn im schlechten „Matrix 3“ wieder komplett zu vergessen.

Schön auch die Gesellschaftskritik innerhalb der in „Surrogates“ angewendeten Optik. Diese wirkt ähnlich dem „Sky Captain And The World Of Tomorrow“ wie durch den Weichzeichner gejagt und erstellt damit ein fragwürdiges Schönheitsideal, das wir heutzutage schon beispielsweise auf den Titelblättern von Programmzeitschriften wie TV Spielfilm und TV Movie entdecken können. Statt Schönheit erleben wir ein verzerrtes Bild dieser. Die Roboter könnten künstlicher nicht aussehen, aber sie werden als attraktiv empfunden.

In diesem Bereich weiß Regisseur Mostow mit den Sehgewohnheiten des Publikums zu spielen, denn er schafft es uns zwei mal diesbezüglich mit Bruce Willis zu schocken. Zunächst sichten wir ihn als widerlichen Roboter mit glattem Gesicht und peinlicher Frisur. Loggt er sich aus, erleben wir einen gealterten Willis, dessen altes Gesicht von einem Bart bewuchert wird. Dieser Mann sieht schwach und ausgelaugt aus und ist somit ein völlig anderer Willis, als wir ihn sonst im Actionbereich erleben.

Unsinnig erschien mir persönlich der Ansatz, das Anwenden der Surrogates hätte zu einem extremen Verbrechens-Rückgang geführt. Man sollte das Gegenteil annehmen, wenn Menschen in andere Identitäten schlüpfen können um sich auszutoben. Das Bild dieses Ansatzes wird zwar krampfhaft aufrecht erhalten, in dem wir erfahren, dass es so etwas wie Anonymität nicht mehr gibt (alles ist registriert und wird überwacht), jedoch bezieht man hier nicht mit ein, dass eine Technik nicht bis zur Ewigkeit von einem Monopol beherrscht werden kann. Gerade der Elektronik-Bereich ist für Dritte schnell verständlich, und so macht es wenig Sinn den Gedanken auszublenden, dass ein Surrogates-Schwarzmarkt entstehen könnte mit nicht registrierten Modellen. Und in diesen Gedanken ist nicht einmal jene Idee einbezogen, dass auch Dritte ein Gerät entwickeln könnten, mit dem man sich in fremde Surrogates einloggen könnte.

Allerdings fällt ohnehin auf, dass die an sich nette (wenn auch überzogene) Grundidee nicht zu Ende gedacht wurde. Warum sollte ein Polizist an einem einzelnen Surrogate hängen? Greer lässt einen Verdächtigen suchen, dieser wird dank des Überwachungsstaates auch schnell ausfindig gemacht, und dann rast der gute Mann durch die halbe Stadt. Warum nicht ausloggen und in ein in der Nähe befindliches Surrogate-Modell einloggen? Würde zwar ein wenig an die Agenten aus „Matrix“ erinnern, wäre aber zumindest nicht unlogisch. Warum ausgerechnet Bruce' Rolle den Verdächtigen fangen muss in dieser kontrollierten Gesellschaft, anstatt irgendwelche Kollegen, ist zumindest eine Idiotie, die man den Sehgewohnheiten zuordnen kann. Eine Lücke entsteht dadurch dennoch.

Fast jede Science Fiction-Geschichte hat ihre Sprünge in der Logik. Das macht Werke wie „Zurück in die Zukunft“ und Co noch lange nicht kaputt. Also gäbe es eigentlich an „Surrogates“ nichts auszusetzen, bei dem wunderbaren Mix an gekonnter Action, hohem Unterhaltungswert, einem gut agierenden Bruce Willis und endlich wieder einer Geschichte, die Kritik am aktuellen Leben ausübt. Was will man eigentlich mehr?

Um so ärgerlicher war es für mich zu entdecken, dass einige Dinge, die für das aktuelle Kino eigentlich selbstverständlich sind, in Mostows Werk schlichtweg ignoriert wurden. Wieso wurde gerade in Zeiten von 3 Stunden-Filmen und dem Standard von 120 Minuten statt den damals üblichen 90, „Surrogates“ zu einem 90-Minüter gestrafft? Es ist geradezu lächerlich zu beobachten, wie Greer ohne echte Gegenwehr und ohne Steine in den Weg geräumt zu bekommen seinen Untersuchungen nachgeht, und auch im Finale einfach so in die Wohnung des Täters einmarschiert, um ihn aufzuhalten.
In den letzten 20 – 30 Minuten geht alles viel zu einfach, die Geschichte wird arg simpel. Sie war auch zuvor nicht sonderlich innovativ, so fleißig wie sie von Werken wie „Flucht ins 23. Jahrhundert“, „Westworld“ und „Flucht aus L.A.“ klaut, aber sie war zumindest gut erzählt. Bruce Willis tappste als verletzbarer Mensch unter Maschinen umher, erwachte aus einer Lethargie, die ihn zum Nachdenken brachte, und seine Ermittlungen machten ihn zum Feind beider Fronten.

Alle drei Faktoren sollten eigentlich in der Zukunftsgesellschaft so schwerwiegend sein, dass ein Kampf zur Erlangung der Superwaffe und den Erkenntnissen hinter den Taten schwer zu bewerkstelligen und aufzudecken sind. Es ist das letzte Drittel, das den Gesamtfilm zu gewöhnlich erscheinen lässt. Und dies hätte sich ausgerechnet durch das Anwenden heutiger Alltäglichkeiten im US-Kino beheben lassen können: verwirrtere Story und längere Laufzeit.

Das liest sich alles schlecht, ist je nach Blickwinkel vielleicht sogar wirklich schlecht zu nennen, wenn man bedenkt, dass der Film für Genrefans mit seinen Wendungen zu vorhersehbar und überraschungsarm daher kommt. Aber „Surrogates“ ist die Action-Variante des Science Fiction, und diesbezüglich gibt es nichts zu meckern. Tolle Effekte (wenn auch einige zum Selbstzweck), wuchtige Action und ein Held alter Schule sind deutliche, wenn auch eher quantitative, Pluspunkte des Streifens.

Nichtsdestotrotz fällt jener Gattung Zuschauer, die es gerne tiefsinniger mag, auf, dass gerade die Schluss-Situation zur interessanteren Geschichte führt, als jene, die wir miterlebt haben. Eine Fortsetzung fände ich sehr reizvoll.

Vielleicht sollte man diese jedoch mit einem anderen Regisseur umsetzen. Mit Ausnahme seines sehr schlechten Frühwerks „Beverly Hills Body Snatchers“ schaffte es Mostow nie mehr als sympathische Routine abzuliefern, seien es Werke wie „Breakdown“ oder „Terminator 3“. Mit den Karten, die der Schluss von „Surrogates“ einer Fortsetzung zuspielt, bräuchte man einen etwas fähigeren Mann.

Zusammenfassend kann man sagen, dass „Surrogates“ trotz vorhandener und geglückter Gesellschaftskritik ein etwas oberflächliches Werk geworden ist, dessen Idee nicht zu Ende gedacht wurde, dafür aber mit anderen cleveren Dingen punkten kann, wie beispielsweise mit der Auflösung des wahren Täters. Seine Beweggründe erinnern an Missstände heutiger Tage, und man darf es wohl als Ironie betrachten, dass man diesbezüglich als erstes an die Untaten des Disney-Konzerns denkt, ausgerechnet jener Filmfirma, die für „Surrogates“ verantwortlich war.

Trotz aller Defizite macht Mostows Film Spaß. Er wird nie langweilig, ist rasant erzählt, bietet auch ein wenig etwas für den Kopf und schwelgt in einer psychologisch pfiffigen Optik. Dennoch sollte man seine Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Ein versimpeltes letztes Drittel und andere Schwächen reduzieren „Surrogates“ zu einem angenehmen Routine-Film, ein Ergebnis das nicht hätte sein müssen.  OFDb