02.06.2018

VINYAN (2008)

Das Ungewisse, das über den Ereignissen von "Vinyan" steht, verleiht dem schwer in ein Genre einzugliedernden Film seine Magie. Ist es möglich dass der Bellmer-Junge noch lebt und auf dem Dokumentarfilm zu sehen war? Kann man den einheimischen Führern glauben, die immer wieder ihre Hilfsbereitschaft für unglaublich viel Geld beteuern? Nach einiger Zeit gesellt sich zu diesen Fragen auch die eine hinzu, ob Paul Jeanne irgendwann davon abbringen kann ihre scheinbar sinnlosen Hoffnungen loslassen zu können, um ins alte Leben zurückkehren zu können. Fabrice Du Welz, mit dessem "Calvaire - Tortur des Wahnsinns" ich trotz interessanter Ansätze nichts anfangen konnte, setzt in seinem selbst geschriebenen Werk hauptsächlich auf den Abenteueraspekt. Zwar vernachlässigt er nicht das Drama hinter den Geschehnissen, aber das Unbehagen dominiert deutlich über einem traurigen Empfinden beim Zuschauer, einzig verursacht durch das Fremde um einen herum, verstärkt dadurch fremden Helfern ausgeliefert zu sein, deren wahre Motivation man nicht kennt, abgeschottet von der einem heimisch vorkommenden Welt, irgendwo mitten im Nirgendwo steckend, bereits lange Zeit vor dem tatsächlichen Verlorengehen im Dschungel sich verloren gegangen anfühlend.

Großartige exotische Drehorte, eingefangen in wundervollen Bildern, helfen Du Welz dabei dieses Unbehagen derart stark wirken zu lassen wie geschehen, stets schwankend zwischen der Faszination der Fremde und der Hilflosigkeit inmitten dieser. Paul glaubt lange Zeit die Sache stets im Griff zu haben, dabei trifft dies nicht einmal auf seine Frau zu, die sich nie etwas von Paul sagen lässt, wie der Fremdenführer ihm bei einem vertraulichen Gespräch nahelegt; ein sexistisch klingender Spruch, der sich aufgrund der ungewöhnlichen Begebenheiten vor Ort als relativ weise entpuppt. Dies wird nicht das einzige Mal sein, dass "Vinyan" aus einer männlichen Perspektive eine Wahrheit ausspricht, die Feministen nicht gefallen wird. Gerade die Symbolik des Finales richtet sich insbesondere an das männliche Publikum, spricht es doch nicht nur die Wahrheit der Bevorzugung von Kindern gegen den Ehemann an, ein familiärer Aspekt der Mann und Frau von grund auf unterscheidet, sondern macht es doch auch die Selbstgerechtigkeit der Frau deutlich, welche die Opfer, die ihr Mann erbracht hat, nicht (an)erkennen kann, aufgrund ihrer anderen Sichtweise auf die Dinge. Es ist faszinierend wie Du Welz diese natürliche Diskrepanz fast ohne Worte zu verlieren eingefangen bekommt.

Leider ist der Weg dorthin nicht so positiv ausgefallen wie die eine Stunde Laufzeit zu Beginn, die uns besagte unbehagliche Reise präsentiert. Kurz vor dem Verlorengehen im Dschungel beginnt der Film immer öfter mit dem Blick auf die Realität zu spielen. "Vinyan" wird surreal. Oft weiß man nicht was Wahn, Traum und Wirklichkeit ist. Dieser Zustand ist zwar optisch und schauspielerisch hervorragend eingefangen, man bekommt von nun an jedoch keinen Zugriff mehr zu dem Stoff, zumal meist die Perspektive Pauls besagten surrealen Touch beschert bekommt, obwohl er derjenige ist, der von ein paar emotionalen Ausbrüchen einmal abgesehen rational bleibt. Jeanne hingegen driftet immer weiter in den Wahnsinn ab, so dass man die Entscheidung des Regisseurs, was auf realitätsentarteter Ebene abgefilmt wird, nicht verstehen kann, zumal vieles von dem Gezeigten keine Konsequenzen folgen lässt, von Erklärungen ganz zu schweigen. Leider guckt sich diese Phase nicht angenehm surreal wie die besseren Horrorfilme von Lucio Fulci, vielmehr ärgert man sich über den Rauswurf aus einer bislang sich herrlich unangenehm anfühlenden, nachvollziehbaren Hilflosigkeit, die zu einer willkürlichen und haltlosen wird, der man gezwungener Maßen beiwohnen muss, um seine Neugierde befriedigen zu können, wie die Geschichte enden wird.

Generell mag ich den Schluss, der irgendwo zwischen "Ein Kind zu töten", "Mondo Cannibale 2" und "Kinder des Zorns" schwebt. Insbesondere die letzte Einstellung, die zwischen sinnlich und verstörend pendelt und eine überraschend freizügige Sequenz offenbart (ein Hoch auf das Kino der Franzosen, das sich nie all zu sehr dem US-Kino angebiedert hat), weiß zu gefallen. Meiner Meinung nach hätte man den Weg zum Ziel aber auch über verständlichere Szenen gehen können. Sicherlich klingt es theoretisch reizvoll innerhalb einer Geschichte um das Sichverlorenfühlen die haltende Hand des Regisseurs urplötzlich verweigert zu bekommen und sich von ihm allein gelassen neu orientieren zu müssen. Aber Fabrice Du Welz lässt gar keine Neuorientierung zu und lässt uns stattdessen ewig zwischen einer Art Drogenrausch und klarem Blick hin und her pendeln, so dass man sich nur noch der Finalereignisse gewiss ist, nicht aber dem Weg dorthin. Ich bin enttäuscht darüber, dass ein solch stark erzählter Film in so wundervoll eingefangener exotischer Kulisse absolut gewollt derart penetrant nachlässt, kann ihm aber selbst in dieser Phase eine Stärke zugestehen, die eine schlechte Bewertung nicht gerecht erscheinen ließe, bei all den vorhandenen Pluspunkten. Von einem lohnenswerten Filmerlebnis kann man leider trotzdem nicht sprechen, gehört "Vinyan" doch einfach nicht zu jener Gattung Film, die man einfach geistlos erleben kann, um das Gezeigte einfach rein der Empfindung wegen auf sich einwirken zu lassen. Leider!  OFDb

1 Kommentar:

  1. Ich mochte hier vor allem auch die akustische Umsetzung, die den surrealen Part des Films im Dschungel noch einmal um einiges verstärkte.

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