06.06.2020

EIN MANN SIEHT ROT (1974)

Bronson griff 1973 knallhart als Gesetzeshüter in "Ein Mann geht über Leichen" durch, zwei Jahre zuvor erblickte der knallharte Cop "Dirty Harry" das Leinwand-Licht der Welt. Die Zeit des über dem Gesetz stehenden Zurückschlagenden schlug gerade hohe, erfolgreiche Wellen im US-Kino als "Ein Mann sieht rot" auf der Bildfläche erschien. Erwartet hatte ich eher einen knallharten, vielleicht sogar selbstgerechten und damit fragwürdigen Streifen, überrascht wurde ich stattdessen mit einem Filmereignis, welches meiner Meinung nach zu Recht solch einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt, weiß Michael Winner, der auch den eingangs erwähnten Action-Thriller inszenierte, das interessante Drehbuch doch gekonnt umzusetzen. Was mich an der ersten Verfilmung von "Death Wish" (Originaltitel), dem noch vier Fortsetzungen bis in die 90er Jahre hinein folgen sollten, besonders fasziniert hat, ist der Kunstgriff Distanz und emotionale Nähe gleichermaßen zu integrieren. Das Schicksal des Protagonisten trifft einen eiskalt. Mag die Überfallszene, in welcher die beiden Frauen zu Opfern werden, auch hart und direkt inszeniert sein, schockierender ist der kurz darauf folgende Moment im Krankenhaus, der durch einen gekonnt psychologischen Trick, lediglich anhand eines Dialoges, das schwere Schicksal des Hinterbliebenen hochgradig emotional nachempfindbar zu präsentieren weiß.

Dem gegenüber stehen die Jagdszenen in der zweiten Filmhälfte, die sachlich und direkt inszeniert sind und uns geradeaus erzählt, frei von moralischem Touch, innerer Zerrissenheit oder geheucheltem Selbstgerechtigkeits-Gefühls, die Taten eines Mannes zeigt, der vom Pazifisten zum Killer einen enormen Wandel vollzogen hat. Ohne all zu tief einzutauchen, zeigt die erste Filmhälfte zuvor auf eher subtile und angedeutete Art wie sich das Innenleben Pauls verändert. Die äußeren Umstände werden mehr als deutlich thematisiert, aber der innere Prozess zeichnet sich nur seicht ab, bis es zur ersten Überreaktion kommt, die dem Mann ein derart gutes Gefühl beschert und Selbstbewusstsein schenkt, dass er von nun an, zunächst irritiert von sich selbst, regelmäßig nachts auf Verbrecherjagd geht. Das Drehbuch erweist sich selbst hier weiterhin als glaubwürdig, zaubert es uns doch nicht einfach sinnlos aus einem Waffenverweigerer, begründet durch simplen Frust, einen Täter, sondern geht durch die Distanz getarnt sachlich überlegt vor. Durch die angewandte Nüchternheit, die stets greifbare Dramatik aufblitzen lässt, gepaart mit den düsteren Bildern einer gefährlichen Stadt bei Nacht, lässt Winner eine Atmosphäre entstehen, die sich schwer beschreiben lässt. Die Hauptfigur und mit ihr das Geschehen auf dem Bildschirm befindet sich in einer Art Lethargie, während der Zuschauer emotional hin und her gerissen ist. An die Identifikationsfigur gebunden empfindet er zum einen den am liebsten leugnen wollenden Frust und die daraus entstehende, rachsüchtige Selbstgerechtigkeit, zum anderen ist er gleichzeitig schockiert von Pauls Taten und der eiskalten Art, mit welcher der zuvor empathische Mann diese mittlerweile begehen kann.

Bereits aus diesen Zutaten wäre in dieser Art der Präsentation ein faszinierender Film geworden. Bereichert wird "Ein Mann sieht rot - Death Wish" (Alternativtitel) zudem aber noch durch die politische Thematik des Films. Die ruht sich nicht damit aus aufzuzeigen wie frustrierend die geringe Erfolgsquote der Polizei ist und dass die Kriminalität in der schmutzigen Stadt New York immer weiter wächst. Sie geht zudem den nächsten Schritt Richtung Volksempfinden. Der durch die Medien angeklagte, unbekannte Täter wird von einem Teil der Gesellschaft gefeiert und motiviert andere Menschen zu vergleichbaren Taten. Dies ist der Polizei und der Regierung der Stadt ein Dorn im Auge. Es wird vertuscht, dass aufgrund dieser von der Exekutive und der Legislative ungewollten Haltung der Bürger die Kriminalität zurück geht, um die Situation im Volk nicht eskalieren zu lassen. Das gibt der Geschichte, in welcher zur zweiten Hälfte auch die Jäger des Jägers stark in den Fokus gerückt werden, eine Tiefe und eine zusätzliche Thematik, dass "Ein Mann sieht rot" damit endgültig zum großen Wurf wird, den Zuschauer in einem Zustand zurück lassend, dass nichts in der Welt gerecht, gut oder böse ist, dass es nichts gibt worauf man sich wirklich verlassen kann und an das man unbeirrbar glauben kann, und dass auch eine freie Gesellschaft keine komplett mündige ist. Nur wenig davon wird laut ausgesprochen, das meiste findet über die emotional passive Direktheit von Erzählstil und Drehbuch statt, ein schwer zu greifender Zustand, den Menschen, die für Zwischentöne und Subtiles nicht anfällig sind, sicherlich mit Oberflächlichkeit verwechseln werden. Jeder andere, der den Stoff richtig zu verstehen weiß und den trockenen Stil des 70er Jahre-Kinos mag, wird jedoch einen überdurchschnittlichen Thriller erleben, der Action und Dramatik gekonnt reduziert, diese Unter-Genres aber stets entscheidend mitspielen lässt.  OFDb

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