18.07.2021

ANONYMOUS ANIMALS (2020)

Der Mensch in der Position des Tieres, das begann cineastisch wahrscheinlich mit der Jagd auf seinesgleichen in "Graf Zaroff" und ging seinerzeit gewagt einen Schritt weiter mit "Planet der Affen", welcher mit Religion, Gesellschaft, Jagdverhalten und ähnlichem durch die Umkehrung Mensch und Tier innerhalb einer unterhaltsamen, etwas verschmitzten, Geschichte abrechnete. "Anonymous Animals" geht nun noch einen Schritt weiter und tauscht Mensch und Tier schlichtweg aus, während er authentisch anmutende Szenarien abfilmt. Kuh, Pferd, Steinbock, Hund und Hirsch machen das mit dem Menschen, welches er sonst mit ihnen macht. Und ein kommentarloses und damit emotional kaltes Zeigen dieser in umgekehrter Form alltäglichen Ereignisse lässt Regisseur und Autor Baptiste Rouveure für sich alleine wirken, weswegen auch auf Dialoge verzichtet wird. Zwar manipuliert er mit Hintergrundmusik, dies meist zum Erreichen eines Spannungsbogen, gelegentlich aber leider auch der Dramaturgie wegen. Das wirkt in einem Projekt wie diesem nicht konsequent. 

Ähnliches kann man jedoch auch über die gewählten Szenarien sagen. Sicher ist es gut, dass "Les Animaux Anonymes" (Originaltitel) in seiner trockenen, sachlichen Art nicht länger als 62 Minuten läuft, aber manches sonst so detailliert in Ruhe betrachtetes Vorgehen hätte einen intensiveren Blick benötigt, zumindest jener des umgekehrten Hundekampfes, lässt man doch wohl kaum einen unerfahrenen Hund auf einen aggressiven kampferprobten Gegner los. Das würde ich zumindest als unwissender Laie in diesem Gebiet vermuten. Eine Abrichtung des Neulings, eine Art Training zur Aggression, wäre somit konsequenter, wenn auch laufzeitintensiver gewesen. An dem genannten Beispiel der Hund-Mensch-Verdrehung zeigt sich andererseits am besten die Frage nach dem Ziel, ist dem Zuschauer trotz der Verdrehung alltäglichem, respektlosem Umgangs mit Vieh doch nicht immer klar wohin der Weg führt, der uns nüchtern Schritt für Schritt gezeigt wird, so dass auch die Orientierungslosigkeit manches Mal ein beunruhigendes Gefühl entstehen lässt. Dass das jeweilige Szenario sich mit den anderen abwechselt, habe ich zu Beginn aufgrund der ständigen Wechsel in den stimmigsten Momenten für einen Fehler gehalten, zeigt sich im Laufe der Zeit aber als die richtige Entscheidung. "Anonymous Animals" würde ansonsten mit jedem Rückschritt zu Beginn eines Szenarios noch weit mehr Geduld vom Zuschauer abfordern als ohnehin schon, um letztendlich an einem anderen Beispiel jeweils selbige Zielsetzung zu erfüllen. Außerdem ist der bizarre Mix aus Fantasy, Horror und Thriller, der sich keineswegs tatsächlich wie eines dieser Genres guckt, ohnehin kein Episodenfilm, wird doch auch der Zusammenhang zwischen den getrennt laufenden Beispielen mit der Zeit herausgearbeitet. 

"Anonymous Animals" mag ein mahnender Film sein, einer der sogar moralisch anmutet, er ist es mental aber nicht, eben weil er unkommentiert die Wirkung beim Zuschauer entstehen lässt und für sich stehen lässt. Das ist ein gekonnter Kniff. Der Verzicht auf Computeranimation und die ungewohnte Methode die Arten in Aussehen und Verhaltensweisen stets auch jene des anderen zuzuordnen, gehören ebenso zu den wirksamen Methoden. Die Tiere laufen aufrecht, diskutieren aber mit Tierlauten und sehen vom Kopf her stets unverändert wie die Tiergattung aus der uns gewohnten Welt aus. Der Mensch hingegen scheint zwar instinktiv, aber nicht undurchdacht zu handeln. Zumindest wird ihm das Menschliche nicht vollkommen aberkannt, was man allein schon am Tragen von Kleidung und dem aufrechten Gang erkennt. Die kühle Mimik der Tiere ist mitunter das bedrohlichste am ganzen Film, ohne dass die uns bekannte Tiermimik hierfür verfälscht würde. Sie gemeinsam mit der Direktheit ihrer Taten reicht bereits aus, um Angst und Unwohlsein zu entfachen. Die drastischen finalen Taten, wie z.B. eine Tötung, kommen dagegen nicht an, sind sie doch ohnehin "nur" die uns bekannte Konsequenz dessen wohin ein jeweiliger Erzählstrang führt. 

Der Plan von Rouveure geht auf. Auch wenn man glaubt zu begreifen und nachempfinden zu können was alltäglich mit Tieren passiert, macht der Blick der Verdrehung das Ganze doch noch einmal wesentlich deutlicher, eben weil die Perspektive des Opfers eingenommen wird, nicht jene des Täters. Allerdings wirft die Bestätigung dieses Effekts meiner Meinung auch die Frage auf, in wie weit es somit tatsächlich Natur ist, dass man sich mit der eigenen Spezies am ehesten identifiziert bekommt, so dass der erste Blick auf das Wohlbefinden der eigenen Gattung auf Kosten einer anderen bis zu einem gewissen Punkt legitim erscheint. Vielleicht greift der Regisseur auch deswegen meist die Pervertierung einer Idee auf, sprich derartiges wie einen sinnlosen Hundekampfes, oder lieblose Bedingungen von Viehhaltung. Bedürfnisse zu befriedigen ginge auch auf respektvollerem Wege, auch wenn Fanatiker, wie jene die das Essen von Tieren mit Vergewaltigung von Menschen gleich setzen, da keinen Unterschied sehen. Aber warum sollte man sich auch mit derart idealistischen Blickwinkeln von Extremisten auseinander setzen bei der Suche nach dem Weg, bzw. den Alternativen zum Ziel respektvollerem Umgangs mit Tieren? "Anonymous Animals" lässt man so nah an sich heran, eben weil er gnadenlos reflektiert ohne sich dabei zeitgleich als radikal und moralisch zu outen.  OFDb

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