Der gelangweilte Militärarzt Watson beginnt eine WG mit dem ihm noch
unbekannten analytischen Genie Sherlock, der hin und wieder der Polizei
mit Rat und Tat zur Seite steht. Gemeinsam untersuchen sie eine mögliche
Mordserie, bei welcher jedes Opfer scheinbar Selbstmord begangen hat...
Wenn man von einer Modernisierung der Sherlock Holmes-Thematik liest, darf man zurecht erst einmal höflich gähnen. Sei es der um sich schießende Rathbone-Holmes der 40er Jahre oder der Handkantenkampf-erprobte „Sherlock Holmes“ der 00er Jahre, modernisiert und/oder in die Zeit des Erscheinens verfrachtet wurde der Stoff schon des öfteren umgesetzt. Auch der Titel „A Study In Pink“ verheißt da nicht zwingend mehr Hoffnung, gab es doch schon 6 Jahre bevor Rathbone erstmals den berühmten Detektiv mimte einen Film, der den Titel des ersten Romans trug, „A Study In Scarlet“, und der wollte mit der Vorlage, von welcher er den Namen klaute, so gar nichts gemein haben. Bedenkt man nun, dass auch dieser von mysteriösen Selbstmorden handelte, die Niederschrift „A Study In Scarlet“ aber überhaupt nicht, geht man erst einmal negativ an ein TV-Produkt heran, welches sich mehr an filmischen Umsetzungen zu orientieren scheint, als an den Büchern von Arthur Conan Doyle.
Aber so leicht kann man sich irren. Was man von Regisseur Paul McGuigan zu sichten bekommt, ist eine ehrfürchtige Verbeugung vor den frühen Werken Doyles, in welchen sich Sherlock und Watson kennen und schätzen lernen, während sie ominöse Kriminalfälle lösen. Der hier thematisierte Fall ist nicht jener aus „A Study In Scarlet“, er orientiert sich jedoch an mehreren literarischen Einsätzen des Detektivs gleichzeitig und schafft es immer wieder die alten Methoden und Erkenntnisse des Meisterschnüfflers gewitzt zu modernisieren. Aus dem Beweis einer kaputten, neuen Uhr wird ein kaputtes, kaum gebrauchtes Handy. Dass der Besitzer ein Alkoholiker war, konnte Holmes anhand der Verbrauchsspuren am Aufziehmechanismus der Uhr erkennen, im Pilotfilm der modernen „Sherlock“-Serie anhand gleicher Verbrauchsspuren an der Anschlussstelle zum Aufladen.
Ob Watson nun zwingend hätte einen Blog im Internet schreiben müssen, sprich ob alles was modernisiert wurde, auch zwingend hätte so deutlich modernisiert werden müssen, sei einmal dahin gestellt. Aber die Nähe zur literarischen Vorlage lassen einen über manche Übertreibung hinwegsehen, zumal die wichtigsten Übereinstimmungen gar nicht erst im Mordfall zu suchen sind, sondern in der Charakterzeichnung der beiden Hauptfiguren.
Watson, der immer ein wenig mehr im Zentrum steht als die titelgebende Figur, ist zum Zeitpunkt des Kennenlernens gelangweilt, da unterfordert. Da kommt es ihm sehr gelegen den sozialfeindlichen Holmes kennen zu lernen, den jeder als Spinner und unsympathisch abstempelt, da dieser sich der Logik verschrieben hat und mit den Durchschnitts-Intelligenten ohnehin nichts anzufangen weiß. Da beide aufgrund ihres Außenseitertums keinen Mitbewohner finden, tun sie sich zusammen. Man darf es als gekonnt ansehen, zwei unsympathische Gestalten zu Identifikationsfiguren zu machen, indem man den erträglicheren von beiden inhaltlich am nächsten am Zuschauer orientiert, damit dieser mit Watson zusammen die Schrulligkeit, aber auch die Genialität, von Sherlock kennen lernen darf.
Während man beide auf der einen Seite für ihre Art ohrfeigen könnte, bewundert man sie doch auf der anderen und ist fasziniert solch interessante Charaktere kennen zu lernen, solche wie man sie in Kino und TV in Werken für die Masse heute eigentlich kaum noch erleben darf. Das gibt der TV-Serie in Spielfilmformat den nötigen Schmackes, freilich unterstützt durch die genialen Denkwege von Holmes, denen man immer wieder fasziniert lauscht und die auch gerne mal durch (teilweise witzig gemeinte) Schriftzügen im Bild unterstützt werden. So macht Krimi Spaß, so soll es sein.
Allerdings zieht der Pilotfilm sein positives Ergebnis mehr durch das Kennenlernen der Hauptcharaktere, als durch das Lösen eines ominösen Kriminalfalles. Zum Mitraten wird hier niemand animiert, und der Fall um mysteriöse Selbstmorde wird ohnehin fast zur Nebensache. Da braucht es einen auch nicht wundern, dass die beiden Nachfolger, welche das Trio der ersten Staffel bilden, nicht ganz so stark ausgefallen sind wie Teil 1, denn von da an kommt es auf die Ermittlungen an, und die starken Charaktere dürfen diese nur noch stützen.
„A Study In Pink“, oder wie er in Deutschland heißt „Ein Fall von Pink“, braucht sich mit diesen erzähltechnischen Krankheiten jedoch noch nicht herumschlagen. Der präsentiert uns hauptsächlich die beiden tragenden Charaktere, die in ihrer jeweiligen Besetzung auch kaum besser hätten ausgefüllt werden können. Benedict Cumberbatch als der Geige spielende Detektiv ist ebenso genial besetzt, wie „Watson" Martin Freeman, der auch die emotional wichtigste Rolle in der britischen Serie „The Office“ gekonnt spielte. Den Schauspieler des Moriarty, Sherlocks Gegenspieler, darf man erst im dritten Teil kennen lernen, auch wenn der Mythos um diese Figur bereits im Piloten geschürt wird.
„Sherlock - Ein Fall von Pink“ ist ein gelungener Kriminalfilm mit kleinen Schönheitsfehlern. So lässt sich beispielsweise nicht alles Erzählte glaubhaft modernisieren. Die Spuren eines Flüchtenden im eher kleinen London des 19. Jahrhunderts auf jene Art zu verfolgen, wie es Holmes tut, ist nachvollziehbar. Ähnliches auf das große London unserer Zeit anzuwenden, wirkt so unglaubwürdig und konstruiert wie das Weiterdenken angespielter Lieder in „Der Rasenmähermann“. Aber das ist Schimpfen auf hohem Niveau, und deswegen lasse ich es an dieser Stelle nun bleiben. Denn dass uns hier eine so würdevolle Modernisierung in toller Besetzung präsentiert wurde, ist schon ein kleines Dankeschön wert und entschuldigt für kleine Ausrutscher. OFDb
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