Gerne wird "Space Firebird 2772" zu Werbezwecken mit der Erfolgsserie "Captain Future" verglichen. Außer dass beide Produkte aus Japan stammen und von einer Raumschiffbesatzung im Weltraum erzählen, will dieser Vergleich jedoch so gar nicht fruchten. Die Verantwortlichen des Streifens schienen recht frei agieren zu können, konnten frei von einengenden Vorgaben umsetzen wonach ihnen war, ohne ein bestimmtes Zielpublikum im Visier zu haben. So kommt es oft zu ziemlich abgedrehten Momenten, die einem LSD-Trip gleichen, womit der Vergleich zu "Yellow Submarine" treffender erscheint. Und auch in besonneneren Momenten werden derartig viele skurrile Elemente eingeführt, dass man sich an die Disney-Version von "Alice im Wunderland" erinnert fühlt, eine Geschichte an deren Verfilmung Regisseur Taku Sugiyama anbei auch in der japanischen Zeichentrickserien-Version "Alice im Wunderland" beteiligt war. Besagte schräge, geradezu psychedelische, Momente dominieren jedoch hauptsächlich die zweite Filmhälfte. Die erste hingegen ist relativ geradlinig erzählt, sachlich durchdacht und angereichert mit subtil eingebauter Gesellschaftskritik beim Kreieren eines zukünftigen totalitärem Systems, dem es nicht an Einfallsreichtum und Eigenständigkeit mangelt.
Wem das wirr und inkonsequent erscheint, der hat Recht und Unrecht zugleich. Sicherlich fällt die Zweiteilung des erzählten Stoffes unübersehbar auf, und nicht jeder, der mit der ersten Hälfte etwas anfangen konnte, kann auch mit der zweiten glücklich werden. Doch so wirr und fantastisch der zuvor eher futuristische, und damit Science Fiction-orientierte Stoff mit seinem Wandel auch überraschen mag, den Schöpfern entgleitet nicht das anvisierte Prinzip ihres Filmes und auch nicht die zu erzählende Geschichte. "Space Firebird" (Alternativtitel) entpuppt sich damit als mutiges Projekt für ein aufgeschlossenes Publikum, welches sich eben nicht auf Erwartungen stützt, sondern so vielfältig wie möglich erscheinen möchte. Die Kreativität steht an der Spitze der Ziele, sie dominiert die Faktoren eines Zeichentrickfilmes, denen üblicher Weise mindestens ebenso viel Beachtung geschenkt wird. Und wer hinter den Vorhang der Farbspielereien mit esoterischen Touch blicken kann, sprich sich von solchen Momenten nicht verwirren lässt, sondern sich lediglich zum Hineinfiebern einladen lässt, der wird erkennen, dass anscheinend vernachlässigte Faktoren lediglich in der zweiten Reihe parken, und sehr wohl jene Beachtung geschenkt bekamen, wie dies auch bei Konkurrenzprodukten der Fall ist.
Allerdings ist es für Gewohnheitszuschauer schwierig sich auf diesen Blickwinkel einzulassen, denn die Schöpfer von "Phoenix 2772" (Alternativtitel) treiben es wahrlich bunt und bringen selbst Befürworter des Streifens gelegentlich an ihre Grenzen. Da wird eine Ernsthaftigkeit plötzlich durch träumerischen Kitsch ausgetauscht, Science Fiction wie erwähnt durch Fantasy, Mögliches gegen Unsinniges. Bereits der Vogel, um den es zentral geht, scheidet die Geister, wenn er durch das Weltall fliegt, als befände er sich am Himmel der Erde. Doch schon lange bevor der Streifen solche Wagnisse eingeht, vermitteln uns die Verantwortlichen bereits in der bodenständigen Phase ihr Faible für Vielfältigkeit, für Ernst neben Spaß, für Düster neben Bunt, für Emotionen neben Sachlichkeit. Allein die Figurenkonstellation ist ein guter Beweis für diese Aussage, sind unsere eigentlichen Helden doch im klassischen Anime-Stil gezeichnet, wie wir sie auch aus "Captain Future" und etlichen anderen Produktionen kennen, begleitet von niedlichen Sidekicks, wie es auch nicht gerade unüblich für japanische Animationsstoffe ist, gleichzeitig jedoch auch Figuren ins Zentrum treten lassend, die eher an amerikanische und europäische Zeichentrickfilme erinnern. Ob es der Bösewicht ist, oder der verrückte Wissenschaftler (der seine dicke Knollennase anheben muss, wenn er aus einem Glas trinken möchte), sie wirken so gar nicht dazugehörend zum eigentlichen Anime-Stil, beweisen sich aber als überraschend kompatibel mit dem Rest.
Für meinen Geschmack hätte es gegen Ende zwar eine Spur weniger esoterisch zugehen können, letztendlich bin ich jedoch trotzdem begeistert von diesem relativ früh entstandenen, gezeichneten Science Fiction-Abenteuer, vergehen die leicht unter zwei Stunden laufenden Filmminuten doch wie im Flug, so interessant und liebevoll das Ergebnis umgesetzt ist und tatsächlich auch immer etwas zu erzählen hat. Ohne zum reinen Kunstfilm a la "Belladonna" oder "Tamala 2010" zu werden, fordert "Space Firebirth" (Alternativtitel) mit seiner Vielseitigkeit und seinen optischen Spielereien geradezu heraus. Letztendlich ist ihm aber der Abenteuerbereich und der Unterhaltungswert wichtiger. Doch wie man am besagten Vergleich sieht, setzt sich der Film auch diesbezüglich zwischen die Stühle, denn von Mainstream kann man bei solch einem erwartungsdurchbrechenden, eigensinnigen Werk nun wahrlich ebenfalls nicht sprechen.
Ob die bemerkenswerte Subtilität in der Anfangsphase, in welcher wir das zukünftige Staatssystem meist mit Nebensächlichkeiten kennen lernen, gewollt beiläufig einfließt, oder nur der Nebeneffekt dessen ist, dass es sich bei "Fire's Bird 2772: Love's Cosmozone" (Alternativtitel) um den Mittelteil einer Trilogie handelt, könnte man nur mit Kenntnis des Vorgängers beantworten. Da aber weder der ein Jahr zuvor entstandene "Hi no tori", noch der erst 1986 erschienene "Hi no tori: Hôô-hen" hierzulande erschienen sind, bleibt diese Frage offen. Freunde asiatischer Filmkost sollten "Hi no tori 2772: Ai no kosomozôn" (Originaltitel) auf jeden Fall ruhig einmal eine Chance geben. Er vereint die Filmrichtungen Science Fiction, Abenteuer, Fantasy, Komödie, Liebesfilm und Drama, mal harmonisch vereint, mal ruppig austauschend, gekonnt miteinander im Zeichentrick-Genre. In seiner Einzigartigkeit hätte er einen größeren Stellenwert in der Anime-Historie verdient. Stattdessen ist er von den meisten vergessen. Ein Wiederentdecken lohnt sich für Freunde nicht genormter Kinoereignisse. OFDb
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen