Der neue Kriminalroman „Tenebrae“ des US-Schriftstellers Peter Neal
ist ein großer Erfolg. Auf seiner Promotour durch Rom wird er in einen
Mordfall hineingezogen, da ein Serienkiller sich durch seinen Roman zum
handeln veranlasst sieht. Er tötet alles schlechte auf der Welt, und
laut Drohbrief soll auch der Anstifter der verrufenen Taten nicht
ungestraft davon kommen. Die Polizei und Neal ermitteln parallel...
Eine wackelige Angelegenheit...
Ein amerikanischer Schriftsteller in Italien, Drohanrufe, das Fotografieren der Opfer, die Zusammenarbeit mit der Polizei, auf eigene Faust ermitteln, die unklare Erinnerung eines Mordzeugen, die schwarzen Handschuhe des Täters, der psychologische Hintergrund der Tat – die Parallelen zu Argentos Erstling „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ sind unverkennbar. Die Geschichte selbst geht in eine etwas andere Richtung, und auch die Auflösung ist völlig anderer Natur und, um es gleich vorweg zu nehmen, wirklich geglückt.
Der sonst so visuell stark arbeitende Regisseur Dario Argento hält sich hier mit optischen Spielereien stark zurück. Der Großteil der Szenen überrascht mit keinerlei Kunstgriffen. Sie wirken wie schlicht und schnell heruntergekurbelt, ab in die Kiste und fertig.
Einen ähnlich lässigen und uninspirierten Eindruck hinterlässt manch inhaltliches Ärgernis, wie beispielsweise ein vor dem Killer flüchtendes Mädchen, das, nachdem es Beweise vom Wohnort des Mörders entwendete und nachdem er sie des Spionierens bezichtigte, sich auf der Flucht umdreht, den Verfolger mit Beweisfotos bewirft und fragt, was er denn von ihr wolle.
Anderes Beispiel: Der Schriftsteller geht an ein Flughafentelefon, stellt zuvor aber die Tasche ab, anstatt sie zum Telefon mitzunehmen, auf die Gefahr hin, dass diese entwendet wird. Kleinkram, ich weiß, aber dieser häuft sich. Hin und wieder wirkt auch die Geschichte selbst etwas lückenhaft, nach Filmende hat sich vieles davon aber als sinnig herausgestellt, wenn man erst einmal die Umstände der Taten begriffen hat. Hier könnte man zu früh fluchen.
Völlig unklar ist mir hingegen, warum Argento so viele Schnitte schlecht setzt. Und als ob das nicht schon reichen würde nervt der Deutschton in diesen Momenten mit dem abrupten Beenden der Geräuschkulisse. Vielleicht setzte auch Deutschland die Schere so mies an, das machte man ja gerne auch außerhalb von blutigen Szenen zur Straffung der Laufzeit. Gerade Argento dürfte ein Lied davon singen können, wenn man einmal schaut, was in der ersten VHS-Fassung von „Profondo Rosso“ noch alles übrig war und was nicht.
Hier mag man Argento also eventuell freisprechen können, von den anderen zwei dominanten Schwachpunkten jedoch nicht. Seine eher schlichte Umsetzung im Großteil der Szenen wirkt nicht nur visuell vernachlässigt, auch der Spannungsgehalt in den Rahmenszenen um die unheimlichen Geschehnisse herum ist nicht vorhanden, so dass der Film bei jeder Suspense-Szene neuen Anlauf nehmen muss, womit zwar Spannung möglich ist, aber kein konstanter Nervenkitzel. Somit guckt sich „Tenebrae“ ein wenig nüchtern.
Argentos Folgewerk von „Horror Infernal“ könnte also schwache Routine sein, wenn der Film nicht auch seine Stärken hätte. Zu denen zählen leider nicht die Darsteller. Die Hauptrolle, ein Dustin Hoffman-ähnlicher Typ, geht noch in Ordnung, die meisten Frauenrollen sind neutral.
Negativ wirkt hingegen der Kommissar, der jugendliche Helfer Neals, das junge Fräulein, welches öfters mal Hausmeistertätigkeiten übernehmen muss und das lesbische Opfer, eine Schlampe, die selbst dann noch ihre Brustwarze zeigen muss, wenn sie sich angezogen in einem Lokal aufhält (Argento, seit wann hast Du diese für Dein Heimatland typische Pseudo-Erotik nötig?).
Der trotz schlichten Talents meist positiv wirkende John Saxon wirkt leicht fehlplatziert, in seiner Rolle hätte sich ein Donald Pleasance besser gemacht, der Darsteller des Dr. Loomis in den „Halloween“-Filmen, der in Argentos nachfolgendem Werk „Phenomena“ für die Rolle des Professors gecastet wurde.
Die Idee dort mit flotter Musik die Mordszenen zu untermalen, findet bereits in „Tenebrae“ statt. Auf Hardrock wurde verzichtet, stattdessen darf man flotten Synthesizer-Sound hören (was ich persönlich auch passender finde), der auch stilistisch ein wenig an den Nicht-Hardrock-Sound von „Phenomena“ erinnert, teilweise sogar in eine Vorstufe des Techno abzudriften scheint. Manche Melodie arbeitet mit dem Stil von Kinderliedern (so wie geschehen in „Suspiria“ und „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“), das geht auch meist gut unter die Haut.
In den Mordszenen erleben wir Argento, wie er klassischer nicht arbeiten würde. Er zelebriert die Morde, zeigt diese gnadenlos hart, auf gewisse Weise aber auch schlicht, sprich er hält die Kamera nicht in endlosem Gemetzel drauf wie sein Landsmann Fulci, der Suspense oft mit Ekel verwechselte.
Noch mehr als den Morden widmet sich der italienische Meister des Horrorfilms jedoch den Momenten, die eine Mordszene einleiten. Hier darf man dann auch manch interessante Kamerafahrt genießen, beispielsweise das eine Hausfassade umherwandernde Bild, das in seiner Art ein wenig an die Einführung des ersten Mordes aus „Suspiria“ erinnert.
Der packendste Moment dürfte jener sein, in dem eine junge Frau von einem Dobermann verfolgt wird, und auf der Flucht in der Höhle des Löwen landet. Argento lässt sich für diese Szene viele Minuten lang Zeit und baut damit eine bedrohliche Atmosphäre auf, wie sie packender nicht sein könnte.
Auch wenn ich hier Massenware mit Giallo vergleiche, so wirkt „Tenebrae“ doch ein wenig auf mich wie Spielbergs Regiearbeit zu „Vergessene Welt – Jurassic Park 2“. Hier begann der olle Spielberg den selben Fehler wie Argento im hier besprochenen Film. Er konzentrierte sich auf die zentralen Szenen, in denen er aufregende Situationen in spannender Umsetzung und interessanten Bildern einfängt und vernachlässigt die kompletten Rahmenszenen, die einen Film erst zu einer Geschichte werden lassen.
Während man den zweiten Dinofilm auch wirklich meist nur in diesen speziellen Sequenzen genießen kann, ist „Tenebrae“ immerhin auch in den eher routiniert umgesetzten Szenen nicht uninteressant. Das liegt u.a. daran, dass Argento es hier im Gegensatz zu seinem Erstling „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ schafft, ein Mödermitraten entstehen zu lassen und dazu noch eines, das einer Agatha Christe würdig wäre. Nicht nur dass die Auflösung (trotz erkennbaren Stilwechsels und diverse Vernachlässigung der Herangehensweise des Killers) völlig überraschend kommt, ewig werden interessante Hauptverdächtige ermordet. Dies dient nicht nur dem Spiel mit dem Zuschauer, sondern auch der Glaubwürdigkeit der Auflösung, die den Kniff Christies „Zehn kleine Negerlein“-Auflösung ein wenig ähnelt, wenn auch aus anderer Richtung.
Positiv hervorzuheben wäre zudem noch ein Arthur Conan Doyle-Zitat aus „Der Hund von Baskerville“, welches nicht nur die Auflösung bestätigt, sondern auch der Hauptfigur charakterliche Glaubwürdigkeit beschert. Endlich einmal ein Krimiautor in einem Film, der die Klassiker seines Bereiches kennt.
Etwas mehr Talent in den Bereichen Schauspiel und Füllzeit-Umsetzung und etwas weniger peinliche Unlogiken und „Tenebrae“ könnte zu den Größen von Argentos Werken zählen. Die Schwachpunkte sind jedoch dominant, auf der anderen Seite jedoch nicht gravierend genug, um die interessante Geschichte und manch künstlerisch wertvolle Einstellung komplett kaputt zu machen. Kontraproduktiv wirken solche Negativpunkte selbstverständlich dennoch. OFDb
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